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Kaindl: Zur Frage der Sprachreinigung.
sammenfaßt und als rückständige Weltanschauung bezeichnet.
Die Präzisierung „engherziger Nationalismus** habe ich Professor
Driesch entlehnt, der von dieser Art Nationalismus als entwicklungshemmend
spricht. Wie andersartig das menschliche Leben
und Treiben erscheint, wenn es nicht im Blendlicht des anthropozentrischen
Irrtums geschaut wird, zeigt sich in auffälliger Weise
in einer Frage, die Prof. Driesch in seiner „Wirklichkeitslehre***)
inbezug auf die Welt- recte Menschheitsgeschichte aufwirft und
die folgendermaßen lautet:
„Wer aber weiß denn, auf der einen Seite, ob nicht, beispielsweise
, die Kriege des Menschen mit ihren Folgen mit Rücksicht
auf das Wirkliche ebenso gleichgültig sind, wie uns die
Raubzüge von Wölfen oder Ameisen erscheinen; und wer weiß
andererseits, ob es die Tiere wirklich zur Bedeutungslosigkeit
stempelt, daß sie, wie es heißt, „ „keine Geschichte haben" "? —
(S. 51.) Wenn man berücksichtigt, daß sogar die Geschichte,
vom nicht anthropozentrischen Standpunkt der Wissenschaft aus
gesehen, zu einer verhältnismäßigen Bedeutungslosigkeit herabsinkt
, so wird man es begreiflich finden, daß, von diesem Gesichtspunkte
aus betrachtet, noch weniger dem jetzt herrschenden
Sprachreinigungsbestreben jene Bedeutung beigemessen werden
kann, welche ihr der „Allgemeine Deutsche Sprachverein" vom
nationalen Standpunkt beizulegen sich veranlaßt sieht.
Auch scheint mir eine ernste Zeit, wie die unsere, die mit
wichtigeren Problemen an uns herantritt, welche eine Lösung
dringend erheischen, hierzu nicht eben glücklich gewählt. Dies
mögen auch die großen deutschen Dichter, zurze.t der Napoleon-
schen Kriege gefühlt haben, denn sonst würden sie, die vor allem
dazu berufen schienen, schon damals dieses Werk in Angriff genommen
haben. Daß sie es nicht taten, läßt uns vermuten, daß
sie in jenen Zeiten der Kriegsgreuel und Kriegsnot mit der Erledigung
höherer Aufgaben vollauf beschäftigt waren.
Uberhaupt glaube ich, daß eine solche Purifikation der
Sprache, so wünschenswert sie an und für sich sein mag, nicht
jedermanns Sache ist, sondern daß sie nur von dazu wirklich
Berufenen, wozu ich vor allem die gottbegnadeten Dichter einer
Nation zähle, allmählich durchgeführt werden kann. Diese Art
der Durchführung ist der Weg der natürlichen Entwicklung und
schließt selbstredend jede Art von Zwang aus.
Daß durch polizeiliche Verordnungen und Strafen auf diesem
Gebiete jemals Gediegenes und Bleibendes geschaffen wurde, ist
mir nicht bekannt
Was speziell den Okkultismus anbetrifft, so sind seine Prob-
*) Wirklichkeitslehre ron Hans Driesch, Leipzig, Verlag von Emanuel
Reinicke. 1917,
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