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Walter: Dte Seherin von Waltendorf.
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und hohe Seele leuchtet durch alle ihre Wesenheiten hin-
durch. Das äußere Leben kennzeichnet sich durch rege
Arbeitsamkeit in treuer Fürsorfire für ihre zahlreichen
Kinder. Frau S. hat ihren Gatten, einen Finanz-Ober-
komniissär, zu Anbeginn des Weltkrieges verloren und hat
seither auch schon viel Verfolgung durch Unverstand und
üblen Willen über sich ergehen lassen müssen; doch wird
sie für die erduldete Anfeindung reichlich entschädigt durch
die aufrichtige Wertschätzung, ja Liebe, die ihr jedermann,
der sie näher kennen lernt, entgegenbringt. Das Verdienst,
ihre eigentliche Mittlerschaft entdeckt und höher entwickelt
zu haben, gebührt Herrn Sch. in Bruck a. d. Mur, einem
langjährigen Spiritisten, der ihren verstorbenen Mann
für seine Ueberzeugung gewinnen wollte; doch besaß sie
die „Gabe des Geistes* schon früher, und zwar gab sich
ihre Hellbesinnung in einem Vorgesicht und einem
Vorgehör kund. In diesem »magischen Erkennen*, wie
Perty es nennt, ward ihr der Tod eines ihrer Kinder
und einer Anverwandten angezeigt. Ihre Kräfteschulung
begann im Oktober 1914. Zuerst begann es schüchtern
mit dem Tippen des Tisches, dann zeigten sich Klopf-
t ö n e, die siSfbald von kleinen Knistertölen bis zum fur&t-
baren Krach steigerten, und schon nach wenigen Sitzungen
kam es zum Freischweben des Tisches, zu Bringungen
und Wurf erscheinungen. Ein neuer Abschnitt jener
Entwicklung begann mit jenem Zeitpunkte, da Frau S. zum
erstenmal von dieser Kraft durchbebt wurde, die den
H o c h s ch 1 a f einleitet. Seither haben sich an ihr nahezu
alle vielgestaltigen Erscheinungsformen des Mediumismus
und zwar in so seltener Kraft und Schönheit gezeigt,
daß die Seherin von Waltendorf über die Bedeutung der
Eusapia P aladino emporgehoben wird. Ich werde
im einzelnen noch darüber berichten. Besonders eindrucksvoll
sind die Lichter, die sie umblitzen und die sie selbst
auf die Straße begleiten.
Frau S. ist Offenbarungs spiritistin und zwar
glaubt sie an einen Schutzgeist, namens Neil, der sie und
ihre Gemeinde (wie der Dämon des Sokrates) behüte. Dieser
Glaube hat etwas Bestrickendes selbst für den, der wie ich
mit Zöllner in der Anerkennung der Seelenkraft übereinstimmt
und sich den Wahlspruch Agrippas von Nettesheim
zu eigen gemacht hat: »Spiritus in nobis, qui viget,
illa faeit.* In ihren Offenbarungen gibt sich zuweilen Hellsehen
kund und einzelne ihrer Gesichte sind wahre Musterbeispiele
der Hellbesinnung und erregen bei Unkundigen
fassungsloses Staunen. Aber nicht alle ihre Offenbarungen
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