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Maier: Ethische Probleme. 481
unbekannte X ist, das sich bewegt. „Wie verhält sich also
der Geist zum Gehirn?*, fragt der genannte ungarische
Edelanarchist (im Sinne Tolstoi's) und antwortet vortrefflich:
„Wie der Strahl zum Spiegel. Ohne Spiegel ist der Strahl
nicht sichtbar. Wenn der Spiegel getrübt wird, wird selbst
die Spiegelung des schönsten hellsten Strahles gestört.
Diese Erscheinung zeigt sich bei jeder Hemmung oder
Störung der Gehirntätjgkeit. Aber nur das Kind oder der
Wilde wird den Strahl drinnen im Spiegel suchen oder
raeinen, daß der Strahl vergehe, wenn der Spiegel zerbricht.
Der Geist leuchtet in Wahrheit von Ewigkeit zu Ewigkeit,
verwoben allen Wesen, vor allem den geliebten, den verwandten
Geistern.* Im Denken wie im Lieben xeigt der
Ge'st seine Unendlichkeit, daher das Gefühl des Schwindens
von Raum und Zeit, der Schranken, in die sonst unser
Sinnenleben gebannt, bei hoher, leidenschaftlicher Liebe,
wie sie mich hier auf Erden mit der von allen ihren Lehrern
und Mitschülern bewunderten, so jäh in der schönsten Jugendblüte
Dahingerafften verband, die mir nun aus einem besseren
Ä Jenseits" die Hand zur Aufrichtung, Besserung und weiterer
mutiger Lebensführung zu reichen schien. Das war wenigstens
der tiefe Eindruck, den jene Kundgebungen auf mich
machten. Sollte es bloße Selbsttäuschung gewesen sein?
(Eine absichtliche Täuschimg von anderer Seite, bezw. durch
das Medium war, wie schon bemerkt, völlig ausgeschlossen).
Ich glaube es nicht!
Was die erwähnten Begriffe von Raum und Zeit
betrifft, so hat ja schon Kant, der sie noch als a priori
gegebene Ideen auffaßt, nachgewiesen, daß sie getrennt
gedacht, keiner Realität entsprechen, also rein subjektiver
Natur sind, insofern sie vom menschlichen Verstand in der
Wahrnehmung eines „Monon", nämlich von einer Bewegung
als letztem Begriff auch der Naturwissenschaft, vermöge der
natürlichen Beschaffenheit des menschlichen Denkapparales
unterschieden werden. Aber indem er alle Successionen
für eine bloße Anschauungsweise des Subjekts hielt, weil
er vom fertigen Denkorgan des klar bewußten Philosophen
ausging, anstatt die genetische Entwicklung beim heranwachsenden
Kind und noch weiter ins Tier-, ja sogar ina
Pflanzenreich zurückzuverfolgen, übersah er oder betonte
wenigstens nicht gehörig, daß jenes .,Monon", die eine Bewegung
, in welcher der Denker einen polaren Gegensatz,
ein Nebeneinander vom Nacheinander unterscheidet, eine
objektive Realität ist, die ihm das eine Mal als Raum, das
andere Mal als Zeit erscheint, während sie tatsächlich beides
zugleich ist. Da aber in der Natur alles periodisch
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