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492 Psychische Studien. XLV. Jahrg. 11. Heft. (November 1918.)
niemand schon 1912 ein ähnlich abgerundetes Bild der
augenblicklichen Weltlage konstruieren können, wie es sich
in den Schriften der Mme. de Th&bes vorfindet.
Anthroposophie, Psychologie und
Okkultismus.*)
Von Dr. med. B. Tischner (München).
Die nachfolgenden Zeilen knüpfen an Steiners neuestes
Buch „Von Seelenrätseln * an, jedoch wollen sie keine Besprechung
liefern, sondern nur einige Gedankenfäden des
Buches, die in ihm nur einen Einschlag bilden, w^iterspinnen.
Vorerst einige Worte über die Aufsätze selbst. Im
ersten Aufsatz „Anthropologie und Anthroposophie* ver-%
sucht Steiner vom Standpunkt der Psychologie Verständnis
für die Anthroposophie zu erwecken. Der zweite Aufsatz
beschäftigt sich mit Max Dessoir, der wegen seiner Behand- f
hing der Anthroposophie in seinem Buche ..Vom Jenseits
der Seele" recht scharf angefaßt wird. (Über Dessoirs
Irreführungen in Bezug auf den Okkultismus siehe „Psych.
Studien", Dezember 1917). Der dritte Aufsatz bringt eine
ti *jfdringende Studie über den kürzlich verstoibenen Philosophen
Franz Brentano.
Es ist sehr schwer zur Anthroposophie Stellung zu
nehmen. Falls man kein Anhänger ist, wird der Anthroposoph,
— und mit gewissem Recht — einwenden, daß man sie
nicht verstehe. Man wird solche Bewegung nur wirklich
verstehen, wenn man in ihr lebt, zumal ja vieles von Vorträgen
und Aufsätzen überhaupt nur für Mitglieder bestimmt
und nur schwer zugänglich ist. Ein Außenstehender
hätte demnach überhaupt keine Möglichkeit sich ein Urteil
über die Anthroposophie zu bilden, falls er nicht früher
Mitglied gewesen ist, dem aber würde man Vertrauensbruch
vorwerfen. Immerhin denke ich, daß es auf Grund des vorliegenden
Materials möglich sein muß, Stellung zu nehmen.
Wenn ich es hier auch hauptsächlich mit gewissen
theoretischen Anschauungen zu tun habe, so ist es doch
vielleicht nicht unnützlich einiges über die mehr praktische
Seite der Sache zu sagen. Man hat in gegnerischen Kreisen
vielfach der Anthroposophie den Vorwurf gemacht,
sie wirke verderblich auf die geistige und körperliche Ge-
*) Wir bringen obige streng objektive, jeder persönlichen Spitze entbehrende
Studie des sehr geschätzten Herrn Verfassers gerne, jedoch unter
der wohl selbstverständlichen Voraussetzung zum Abdruck, daß eine neue
»Steiner-Debatte« dadurch weder eröffnet werden soll, üoeh darf. Schriftl.
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