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494 Psychische Studien. XLV Jahrg. 11. Heft (November 1918).
nationalen philosophischen Kongreß zu Bologna (1909) und
in seinen „Bätsein der Philosophie* (besonders das Schlußkapitel
) und jetzt in diesem Buche. Leider geschieht das
immer nur andeutend und aphoristisch; man sollte jedoch
denken, daß es trotz der Fremdheit der Methode möglich
sein sollte, der Wissenschaft mehr Positives zu übermitteln
. Jedenfalls hat das bisher von Steiner Gebotene
nicht genügt, das Verständnis, ja auch nur das Interesse
der Philosophen und Psychologen hervorzurufen.
Steiner betont, daß diese Inschau von jedem mit der
Zeit gelernt werden könne und daß diese Methode uns
Kenntnisse von der Seele verschaffen kann, die uns auf
andere Weise nicht zugänglich sind.
Er behauptet mit dieser Methode ohne Smnesvermitt-
lung Tatsachen über die nicht an die Materie gebundene
Seele finden zu können, und es scheint mir in der Tat
möglich auf diese Weise über die Seele Kenntnisse zu erlangen
, die mit den gewöhnlich angewendeten Methoden
nicht zu gewinnen sind; und ich möchte es für möglich *
halten, daß eine Psychologie im Sinne Brentanos und Husserls
Verständnis dafü/haben, ja Anregung durch sie erhalten
könnte und auch vom Standpunkt von Lipps oder Külpe
(dem psychisch Realen) sollte das wohl möglich sein.
Eine andere Frage ist es allerdings, ob die bisher erlangten
Ergebnisse besonders vertrauenerweckend sind;
jedenfalls erscheinen sie vielfach durchaus phantastisch,
so daß man geneigt ist, sie schon deshalb abzulehnen.
Immerhin ist das kein durchschlagender Grund nicht darauf
einzugehen, die Wirklichkeit könnte ja wirklich so
phantastisch sein. Steiner betont nun immer wieder, man
solle der Anthroposophie mit kritischem Verstände gegenübertreten
, wie man es jeder wissenschaftlichen Behauptung
gegenüber zu tun gewöhnt und verpflichtet ist. Wie bei
jeder anderen Angabe eines Forschers ist also zu fragen
worauf gründen sich die Behauptungen? Man verlangt Einsicht
in die Quellen zu nehmen. Im Gegensatz zu anderen
Forschungen erfährt man aber nichts darüber, man erfährt
nicht, wie viele und wer das gesehen hat, ob Steiner nur
selbst, ob noch andere seiner Anhänger oder ob einen
Teil der Angaben auch Steiner selbst nicht hat nachprüfen
können, sondern nur überliefert. Viele Anhänger Steiners
halten Steiner sozusagen für allwissend auf diesem irdischen
Plane und auch in höheren Sphären; besonnenere, kritische
Anhänger sind in dem Punkte zurückhaltender. Eine Nachprüfung
der Quellen ist also im Gegensatz zu anderen
Forschungen nicht möglieh, und es wäre gerade auf einem
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