http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1918/0499
Tiäehner: Athroposophie, Psychologie und Okkultismus. 495
derartigen Gebiete ungewöhnlich, ja falsch, neue Tatsachen
zuma,l so seltsamer Art auf das Zeugnis eines einzigen
Menschen anzunehmen, ohne die Möglichkeit einer Nachprüfung
zu haben. Je ungewöhnlicher die behaupteten
Tatsachen sind, desto mehr muß man fordern, daß das Beweismaterial
möglichst vielfältig und genau ist. Dabei ist
noch besonders zu betonen, daß es sich um psychologische
Tatsachen handelt, um Tatsachen also, die ein Mensch ganz
allein in seinem tiefsten Innern zu finden behauptet, auf
einem Gebiet, auf dem Selbsttäuschung und Irrtum besonders
leicht ist und auf dem alles in Phantasterei ausarten kann.
Ich sage nicht, daß das der Fall ist, Steiner mag in diesem
Gebiete Wahrheiten entdeckt haben, es fehlt aber der Nachweis
, daß verschiedene Geistesforscher unabhängig von ein-
einder über bestimmte Fragen gleichlautende Antwort geben.
Antworten, die nicht aus schon bekannten anthroposophischen
Feststellungen abgeleitet werden konnten und die auch
hinreichend bestimmt sind und nicht in vieldeutigen Allgemeinheiten
stecken bleiben. Ein derartiges Vorgehen wäre
einfach eine notwendige Forderung der wissenschaftlichen
Methodik.
Steiner irrt, wenn er meint, diese Forderung nach
„äußeren* d. h. vergleichend-experimentellen Beweisen sei
nur darin begründet, daß man meint auf diese Weise auf
bequemen Wegen erreichen zu können, was nur auf dem
schwierigen geisteswissenschaftlichen Pfade gefunden werden
kann. Wie schon bemerkt, ist das eine methodologische
Forderung, der ernste Forscher wird mit solch einem experi-
mentum crucis ia nicht alles in Bausch und Bogen annehmen,
sondern sich jetzt entschließen auf dem schwferigen anthro-
posophischeu Pfade selbst in diese Gebiete vorzudringen.
Auch sonst in der Wissenschaft führt ja ein solch ent-
scheidendes Experiment, das ein Forscher seinen Fachgenossen
vorführt, nicht dazu, daß jetzt alle von ihm festgestellten
Tatsachen sammt der darauf aufgebauten Theorie
unbesehen angenommen werden, sondern die anderen Forscher
werden dadurch angeregt, auch ihrerseits auf diesem Ge-
biete recht mühsame Forschungen anzustellen.
Steiners Stellung zum Okkultismus ist ja bekannt, er
ignoriert das Gebiet tunlichst und lehnt eine experimentelle
Beschäftigung damit ab. Yon zwei Gesichtspunkten aus ist
ja diese Stellung der Anthroposophie zu den okkulten
Phänomenen verständlich. Da die Theosophie vielfach in
unkritischer Weise die okkulten Phänomene pflegte und
verwertete, ist es aus historischen Gründen begreiflich, daß
der Abkömmling der Theosophie, die Anthroposophie, in
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1918/0499