http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1918/0506
502 Psychische Studien. XLV. Jahrg. 11. Heft (November 1918).
früheren Empfindungen und Erlebnissen, aber der Unterschied
dieser Vorstellungen von denen des Tagesbewußtseins
ist der, daß die seelischen Elemente, die zur Bildung
des Traumes beitragen, im Wesentlichen dem Unterbewußtsein
des Menschen entstammen Sie sind freier
als jene, unterliegen nicht dem Kausalitätsgesetz, sind mitunter
ganz unwesentlich etc. (43). Die Sinne können dabei
eine wesentliche Rolle spielen, d. h. es kann Gesichts-,
G eschmacksträume etc. geben, das eige ne Ich kann als
scheinbar ganz Jremde Macht auftreten, sodaß dann eine
scheinbare Spaltung des Bewußtseins eintritt, wie wir sie
auch gelegentlich im Wachleben wahrnehmen (50). Reize
von außen können die Träume ebenso beeinflussen wie Erinnerungen
, auch wenn diese längst aus dem Gedächtnisse
entschwunden zu sein scheinen. Dazu kommen noch andere
Faktoren, die das Traumleben beeinflussen können: Geschlecht
, Sexualleben, Lebensgewohnheiten, Rassenangehörig-
keit etc. Interessant sind besonders die Träume, die im
Augenblick des Erwachens zustande kommen, wobei irgend
ein Reiz Vorstellungen auslösen kann, die ihm zeitlich
voranzugehen scheinen; es fehlt eben im Traum jede Zeitorientierung
und eine einzige Sekunde kann zur Jangen
Zeitdauer werden. So sind auch die Berichte von Ertrinkenden
und Abstürzenden, die dann gerettet wurden,
durchaus möglich, daß im Augenblick des drohenden Todes
ihr ganzes Leben an ihnen vorübergegangen sei. Am interessantesten
für den Okkultisten ist jedenfalls das Kapitel
über die typischen Träume, da sich der Verf. hierbei mit
den Freud'ehen Theorien auseinandersetzt. Nach Freud
ist jeder Traum ein erfüllter Wunschtraum und er nimmt
daher, falls das nicht ohne weiteres ersichtlich ist, zur
Traumanalyse seine Zuflucht. Das Träumen ist ihm ein Stück
de» überwundenen kindlichen Seelenlebens, das sich mit
unbewußten Vorstellungen des Tages etc. verbindet. Aber
diese Analysen sind mitunter so gezwungen, daß nach dem
Verfasser auch bloße Tageserlebnisse genügen, um solche
Träume hervorzurufen, wenn z. B. eia schlecht genährter
Gefangener von guten Mahlzeiten träumt, die ihm vorgesetzt
werden (77). Wunschträume als solche sind also nur ein
Typus unter vielen anderen, wie z. B. Falltraum, Flugtraum,
Examenstraum, sexuelle Träume etc. Ein Grund, die Freud'-
schen Anschauungen zu verallgemeinern und auf alle
Träume zu übertragen, liegt nicht vor.
Wird man dem Verf. hierin entschieden Recht geben
müssen, so darf man anderseits auch nicht die große Fruchtbarkeit
von Freuds Traumanalyse verkennen, die auf vieles
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1918/0506