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Literaturbericht.
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schreibenden holländischen Denker, herausgegeben vom Sohn des
Naturphilosophen Dr. IL Thoden van Velzen [Verf. der bei
A. W. Sythoif (Leiden, Holland) in 2. Aufl. erschienenen „Wissenschaft
der Seele*] lehnt sich durchaus an den ersten Teil an, auf
welchen schon einer unserer geschätzten Mitarbeiter, Dr. K. H. E.
de Jong, Privatdozent in leiden, die Aufmerksamkeit der Leser
gelenkt hat. Verf. betont im Vorwort, daß er die meisten Gedanken,
die in diesem merkwürdigen Buche vorhanden sind, seinem bis zum
heutigen Tag sich rastlos der Philosophie widmenden Vater — er
selbst ist praktischer Arzt und Besitzer des „Marien-Heim* in
Joachimstaf bei Berlin — verdanke, der einmal vierzehn Tage und
Nächte ohne zu schlafen über die Frage der Geistesfreiheit (vulgo
Willensfreiheit) nachdachte und dann voller Entzücken ausrief:
„Heureka*! wie alle neuen Ideen, rief auch dieses einzigartige
Buch vielfachen Widerstand hervor. Der unbefangene Kritiker
wird aber sagen müssen: Je verblüffender und zunächst unbegreiflicher
die Gedankengänge und Zusammenhänge sind, um so mehr
überrascht die wenigstens scheinbar streng wissenschaftliche, durch
Zeichnungen veranschaulichte Begründung, z. B. der Behauptung,
daß Wahnvorstellungen, Visionen, Illusionen, Akoasmen real, d. n.
körperlich sind. Verf. liefert dabei kein geordnetes System wie ein
Spinoza, Kant oder Hegel, sondern bereichert die menschliche
Gedankenarbeit mehr sporadisch nach dem Vorgang von Leibnk
durch zündende und fruchtbare neue und ganz eigenartige Geistesblitze
— disjecta membra poetee. Der Grundgedanke des Werkes
ist die Existenz der Seele als „Ding an sich* im Sinne der Leibniz-
schen Monade, also Psychologie als Grundlage der Psychiatrie, wie
die Anatomie die der Chirurgie ist. Verf. stützt sich besonders auf
das Hauptwerk seines Vaters: »Der religiöse Materialismus*. Die
Seele besteht nach ihm aus einem,, Doppelwesen, dem „Ich* und
dem „Gedächtnis*. Das „Ich* oder der Geist ist das mit den Vorstellungen
arbeitende, sie trennende und verbindende Wesen, das
denkt, fühlt und will, der „Monarch* des ganzen komplizierten
Mechanismus, der „Mensch* heißt. Weil das Wesen, das wir Geist
genannt haben, jedesmal wieder Millionen von Vorstellungen, wenn
sie aueh längere Zeit von anderen Vorstellungen verdüstert sind,
zu seiner Disposition hat, so liegt der Gedanke nahe, daß sie in
der unmittelbaren Nähe des Geistes von einem oder mehreren
Wesen bewahrt werden; und dieses Wesen, das unseren Geist umgibt
, scheinbar entsprechend dem „Astralleib* oder der „Aura* des
Individuums, bezeichnet Verf. als das „Gedächtnis* desselben und
gibt ihm sphärische Form (Kugelgestalt). In ihm befinden sich,
materialistisch gedacht, die Vorstellungen, mit denen der Geist
arbeitet. Sie wechseln ihren Platz, treten in die Nähe des Geistes
und verschwinden wieder aus derselben, je nachdem das „Ich* sie
ruft. Es ist ein ewiges Kommen und Gehen, ein gewaltiger Wechsel,
während Geist und Gedächtnis das Bleibende, Kuhende, Feste, die
unveränderlichen Pole sind, um die sich alles dreht, Verf. tritt
dabei vielfach in lebhaften Widerspruch zu Wundt; seine Hypothesen
haben manches füt sich, wenn auch die Beweisführung dem
exakten Forscher nicht immer einleuchten dürfte. So urteilt u. a.
C. E. Schmidt (Eberswaide), fügt aber bei, jedenfalls biete das
intet essante Buch eine Menge Anregungen zum tiefen, gründlichen
Nachdenken. — Auch der mit dem Nobelpreis gekrönte Jenaer
Philosophieprofessor Dr. Eucken urteilt über ein holländisches
Werkchen Velzeu's, „Das Urteil*: „Was ich daraus gelesen und verstanden
habe, hat mich durchaus sympathisch berührt*. Eine andere
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