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552 Psychische Studien. XLV. Jahrg. 12. Heft. (Dezember 1918.)
Uebersinn, welcher es uns ermöglicht, mit der essentiellen
Natur des Geistss in eine innige* Fühlung zu kommen und
seine Eindrücke ins Bewußtsein aufzunehmen, ist unter der
Einwirkung einer rein utilitarischen Gesinnung, eines alle
individuellen Kräfte absorbierenden Erwerbs- und entnervenden
Sinnenlebens allmählich verloren gegangen.
Indem der Mensch sich auf diese l?Veise vom Weltgeist
isolierte und seinen Einflüssen sich entzog, kam ihm
auch das Bewußtsein einer allgemeinen Zusammengehörigkeit
und Solidarität abhanden und eine schrankenlose Betätigung
des Selbsterhaltungstriebes gilt ihm nun als das
Grundgesetz seines Lebens, und zwar auch dann, wenn er
einen Zusammenschluß mit seinesgleichen sucht; denn er
sucht ihn nur, wenn sein persönlicher VorteU es erheischt.
Diese die weitaus überwiegende Mehrheit bildeode Menschenklasse
, die heute unser ganzes JLeben beherrscht und entwertet
, kannte schon Sokrates und schildert sie uns in
folgender treffender Weue:
„Das sind Menschen, die nichts glauben% als was sie
greiflich anfassen können mit ihren beiden Händen, und
nichts hören mögen von dem Unsichtbaren, eben als sei
es nicht. Solche sind von den Musen ganz verlassen." (Piaton
im Theätetos).
Im Gegensatze zur zivilisierten Menschheit der Jetztzeit
, welche den Geist des Universums, wie er sich in der
kosmischen Natur unseres eigenen Geistes offenbart, keinerlei
Einfluß auf das individuelle und soziale Leben mehr
gestattet, weil seine Tendenzen ihrem nur auf irdische Ziele
gerichteten Sinnen und Trachten direkt zuwiderlaufen,
suchten die Völker des Altertums auf dem Höhepunkt
ihrer kulturellen Entwicklung die Verbindung mit dem
Weltgeist auf jede mögliche Weise zu fördern nnd zu erweitern
und schufen sogar Institutionen (Orakel, Inkubationen
, Mysterien), welche bezweckten, den menschlichen
Geist in eine mehr unmittelbare Beziehung zum Allgeiste
zu bringen.
Ueber dieses innigere Verhältnis % zwischem dem
Menschengeist und dem Geiste der Natur und des Alls,
wie es infolge ekstatischer Zustände eintritt, erhalten wir
aus den Schriften der alten Klassiker die nötige Aufklärung.
So äußert sich z. B. Plato im „Phädros" hierüber wie
folgt:
„Es entstehen uns die größten Güter aus einem Wahnsinne
, der durch göttliche Kunst verliehen wird. Denn die
Priesterinnen zu Delphi und Dodona haben im Wahnsinne
vieles Gute in besonderen und öffentlichen Angelegenheiten
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