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556 Psychische Studien. XLV. Jahrg. 12. Heft. (Dezember 19F.)
nung gezogen, und das endliche Ziel, das sich diese gesteckt,
wird sie nicht hindern, ihr ewiges Ziel zu erreichen.
Wer in den folgenden Aeußerungen buddhistischer
Weisheit erkennt, daß sie den Tatsachen des Lebens entsprechen
, der wird auch in ihnen die natürliche Wirkung
der Lebensgesetze sowie einer durch sie sich kundgebenden
Weltordnung sicherlich nicht verkennen.
„Derjenige*, so sagt sie, „dessen Bosheit keine Grenzen
hat — wer von ihr umstrickt ist, wie von einer j^Lcker—
winde —, der wird sich bald selbst dahin bringen, wohin
ihn nur seine schlimmsten Feinde stoßen möchten.
Frisch geseihte Milch wird nicht bald sauer, die böse
Tat trägt nicht sofort Früchte, sondern wie dus in der
Asche begrabene Feuer brennt und martert sie nach und
nach den Toren." —
Ein Dichter, der bei den modernen Selbst vergötterern,
gleich jedem andern wahren Dichter, schon längst in Abirag
gekommen ist, und den man nur mehr feiert, um sich
selbst damit" zu ehren und zu beweihräuchern, hat dieselbe
Wahrheit ebenfalls erkannt und sie in folgende poetische
Form gebracht:
Leicht verschwindet der Taten Spar
vron der sonnenheleuchteten Erde,
Wie aus dem Antlitz die leichte Geberde —
Aber nichts ist verloren und verschwunden,
Was die geheimnisvoll waltenden Stunden
In den dunkel schaffenden Schoß aufnahmen:
Die Zeit ist eine blähende Flur,
Ein großes Lebendiges ist die Natur,
Und alles ist Frucht, und alles ist Samen *
Die Vergewaltigung der im individuellen Geist nach
Ausdruck rinfenden^^ den mensch-
liehen Verstand ist in der Tat nichts anderes, als ein „Versuch
des Endlichen, sich vom Unendlichen zu trennen und
iür sich als Absolutes zu bestehen," was im Wesen dasselbe
ist, wie der „Abfall von Gott" der Bibel.
Wird im Menschen der Verstand von der Vernunft
(welche tatsächlich nichts Anderes ist, als die individuell
sich äußernde Weltvernunft) nicht mehr geleitet, so gerät
er naturgemäß unter die Herrschaft des stärksten aller
menschlichen Triebe, des Selbsterhaltungstriebes, der sich
hinwieder unter dem Einfluß des Verstandes zur Selbstsucht
entwickelt. Unter dem Ansporn des Selbsterhaltungstriebes
schärft sich der Verstand, und der geschärfte Verstand
liefert wiederum dem allmählich zur Selbstsucht ausartenden
Selbsterhaltungstriebe die geeigneten Mittel und Wege zur
Befriedigung ihrer Wünsche, Begierden und Leidenschaften.
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