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Kurze Notizen. 573
Meine Neffen Arthur und Siegfried besuchten mich
im Traume. Ich hielt sie voll seliger Lust im Arm, mein
Mund hing an ihren Lippen. Sie sprachen: nOnkel, wenn
wir den Kuß dir zurückgeben, mußt du sterben.* — „So
gebt mir den Kuß*, bat ich. - Es geschah, und ich fühlte,
wie das Leben langsam-sanft riahinschwand. Am nächsten
Morgen bin ich leider wieder erwacht —
Ich habe eine Erzählung geschrieben: Der Märtyrer
. Sie behandelt das Schicksal Karls 1. von England.
Mitten in der Nacht wachte ich auf, als die verschlossene
Türe meines Schlafzimmers geöffnet wurde. Die
Stube war soweit erhellt, daß ich eine Gestalt zu erkennen
vermochte, die meinem Bett lautlos nahte. Ich hörte die
Worte: „Ersehrecken Sie nicht. Ich bin der König Karl I.,
mit dem Sie so viel sich beschäftigt haben." Der König
war es, umgeben mit dem Mantel und dem Ordensstern
darauf, genau so, wie das Bild van Dycks in der Dresdener
Galerie ihn darstellt. Ich antwortete: .,I)arf ich innige
Fragen tun?" Der König bejahte.
Ich: „Ist alles richtig, was ich schrieb über Ihren Prozeß
, über das Verhältnis zu ( romwellI'6 Der König: „Es
ist alles richtig. Sie haben das Seherauge des Dichters
bewiesen." Ich: „Welche Empfindung haben Sie gehabt
bei der Hinrichtung?" Der König: „Mir war, als presse
eine Riesenkraft meinen Hals zusammen, ich sah einen
Blitz und hörte einen kurzen, lauten Donner, Schmerzgefühl
habe ich nicht gehabt." Bei irgendeiner Bewegung.
;ie ich machte, schien die Gestalt gleich Nebel zu vergehen
und entschwand durch die Türe. t
Ich bemerke dazu, daß ich in meinem langen Leben
es nicht ein einziges Mal vergessen habe, die Tür zum
Schlafzimmer abzuschließen. Geschichtlich steht fest, daß
die Gesichtszüge des Königs nach der Hinrichtung keine»
Spur von Veränderung zeigten. —
Ich war etwa 24 Jahre alt und .^aß bei Lampenschein
auf dem Sofa und las. Da bemerkte ich zur Rechten die
Großmutter mütterlicherseits, die neben mir saß. Erstaunt
richtete ich mich auf. Das Bild war verschwunden. In
derselben Stunde war meine Großmutter gestorben. Ihr
Wohnsitz war von dem meinen gegen sechzig Meilen entfernt
. — Wenn in der Sterbestunde jemand lebhaft denkt
an einen andern, so zwingt er diesen, auch an den Sterbenden
zu denken. Dann erscheint solches Bild."
c) Der 9. November, der die uralte Hohenzollem-
dynastie zu Fall gebracht hat, weist seltsamerweise in der
Chronik der Weltgeschichte eine Eeihe von Begebenheiten
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