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48 Psychische Studien. XL VI. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1919}
zugestellt, durch einseitige Selbstverwaltung den Geist eines
Zeitalters um seine besten Kräfte zu schädigen. Es ist
ebenso zu wünschen, daß der Staat ungeeignete Menschen
von der Wissenschaft abschrecke. Es darf nicht sein, daß
man um materieller und sozialer Gründe willen Wissenschaft
treibt und dadurch die Plätze, die geeigneten Geistern vorbehalten
sein sollten, besetz:,
10. Es ist nötig, daß die bisherige — bildlich und vergleichsweise
gesprochen — „katholische* Wissenhehaft durch
eine „protestantische* Wissenschaft ergänzt werde, damit
nicht mehr der Grundsatz herrsche: „Wer nicht glaubt,
wird aus jeder wissenschaftlichen Gemeinschaft exkommuniziert
. Die „protestantische* Wissenschaft piotestiert gegen
die Bevormundung des wahrheitforschei den Geistes durch
eine einseitig und oft irttümlieh ortentieite Ucrmsklas.-e,
Sie erkennt deren RiehtersprucL nicht an, vertritt das allgemeine
PriesteHum der Wahrheit und unterwirft «ich nur
dem in jedes Men-cken Sewußts; in befindlichen Gewissen
des gesunden Verstandes. Sie bekämpft jede wissenschaftliche
Herabwürdigung di^cr edelsten Fähigkeit hm\ verlangt
, daß jede Wissenschaft sich auf dem zu\ei lässigen
Fundament klarer Erfahrung, unmittelbaren Urteile und
genialer Einsicht erhebe, ohne hivh bedingungslos den Anforderungen
versteinerter Abstraktionen zu unterwerfen.
11. Es ist nötig, daß die angedeutete Neuorientierung
der Wissenschaft baldigst Platz greife, damit die Kultur
nicht noch weiter durch Hintanhaltung neuer wissenschaftlicher
Gedanken geschädigt werde. Wie schwer dieser
Schaden ist, kann der Allgemeinheit besonders darch da^
Schicksal der GoetheVben Farbenlehie bewußt werden, die
glänzend richtige Gedanken vertritt von der machthabenden
Partei jedoch bis vor kurzem völlig unterdrückt war.
Aus Goethes Gesprächen mit Eckermann mag man entnehmen
, welche Schmerzen dieses unwürdige Verhalten der
Partei dem großen Denker verursachte. Möge unser schicksalschweres
Jahrzehnt auch in der tiefen Kulturfrage der
Wissenschaftsorganisation den entscheidenden Umschwung
bringen. Erkläiungen grundsätzlichen Interesses von Seiten
gebildeter Wissenschaftsfreunde und selbsttätiger Forscher
werden von Prof. Dr. Horn, München, Delsenhofenersi r 12,
entgegengen omm en.
Inst. f. Grenzgeb,
der Psycholog»*
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