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Kurze Notizen.
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sehäftigungen mit übersinnlichen Fragen jetzt die Möglichkeit
erwuchs, wirklichen Trost spenden zu können. Ich
führte etwa folgendes aus: Wir alle, die wir noch in diesem
Leben weilen, gleichen den Fußgängern auf jener Straße,
die uns zum Bahnhof B führen soll, von wo wir weiteren
Zielen zufahren sollen. Wir alle müssen dorthin und zur
Erreichung dieses Zieles müssen wir die verbindende Straße
überschreiten, ob bei a oder bei b ist ganz gleichgültig.
Wohl ist es uns zuweilen unangenehm, liebgewonnene Genossen
hier auf dieser Seite zu verlassen, wir wissen nicht,
wen wir dort drüben antreffen. Aber der Weg bei uns
wird immer schlechter und mit den Jahren schwer passierbar
; die Alten sagten: „wen die Götter liebhaben, den
nehmen sie jung zu sich* — und sie hatten nicht Unrecht,
denn das Leben im Alter wird zur Last — und doch stehen
wir klagend am Grabe unserer jung Gestorbenen! — Wir
brauchen das nicht, denn sie sind manchem Leid hier entgangen
, und machen wir uns doch nur klar: nicht das
Wandern auf der Straße, sondern die Erreichung des Zieles
war doch der Zweck unseres Straßenaufenthaltes — auf
dieser oder an der anderen Seite! — Wohl dem, der dabei
noch der festen Ueberzeugung ist, daß ihn drüben dieselbe
Straßenordnung schützt, L Lrl
Kurze Notizen,
a) Zum 9. November 1918 (vgl. vor. Heft
K. Not. b) schreibt aus der Deutschen demokratischen Partei
Conrad Haußmann Der 9. November war schon öfters in
der Geschichte ein kritischer Tag. Auf den Tag zehn Jahre
zuvor hat der Reichstag seine warnende Stimme zu Kaiser
Wilhelm II. erhoben. Die Interpellation wegen des Kaiser-
Interviews war eine Klage und Anklage, die überhert
worden ist. Ich selbst habe am 9. November 1908 namens
der »Deutschen Volkspartei* aufs schärfste gewarnt und
daran erinnert, daß der 9. und 10. November durch den
Luthertag und den Schillertag große Tage in der Geschichte
des deutschen Geistes sind, aber auch in der deutschen
Revolutions-Geschichte, denn am 9. November 1848 ist
Robert Blum, der größte unter den Helden von 48, in Wien
standrechtlich erschossen worden. Diesmal war der 9. November
nur der Anstoß und nur der Ausdruck der Gährung,
die am Ende des Erschöpfungskriegs naturnotwendig war
und künstlich noch gesteigert wurde. Der 9. November ist
der Tag des Kriegsekels, der sich demokratischer Forderungen
und sozialer Stimmungen bemächtigt hat, und von dem
4*
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