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Nieckels: Telepathische Erlebnisse. 108
Ich habe eine mütterliche Freundin, die sich gleich zu
Beginn des Krieges an die Spitze der Frauenkriegshilfe
hier in Hamburg stellte. Weil sie infolgedessen sehr überlastet
war, hielt ich mich fern, um ihre Zeit nicht unnötig
in Anspruch zu nehmen. Da hörte ich sie eines Nachts
deutlich zu einer anderen Freundin sagen: »Wir haben mal
lange nichts von unserer C. N. gehört, was mag die wohl
treiben ?" Angeregt durch diesen Traum, schrieb ich einen
ausführlichen Brief. Nach ein paar Tagen erhielt ich Antwort
, in der die Dame schrieb: ,Wie nett, daß wir von
Ihnen hörten. Kurz vor Ihrem Brief haben wir von Ihnen
gesprochen und gewünscht, etwas von Ihnen zu hören.*
Meiner Meinung nach habe ich die Worte meiner Freundin
so deutlich gehört, weil im Schlafe die nach außen wirkenden
Kräfte des Selbst gebunden sind, so daß das Selbst
für die Einflüsse aus der mentalen Welt empfänglicher wird.
Hätte mich der Gedankenstrahl im Wachzustande getroffen,
so wäre er mir wahrscheinlich nicht so klar zum Bewußtsein
gekommen und weniger wirksam gewesen.
im folgenden Fall kann man wohl einfache Gedankenübertragung
erblicken. Ein Kollege war in diesen Tagen
ans dem Feld zurückgekommen, und, da unsere Schule
augenblicklich mit Lehrkräften genügend versehen ist,
wußte der Rektor ihn nicht recht zu beschäftigen. Mit
einer Kollegin besprach ich den Fall und sagte, man müßte
dem Rektor nahelegen, daß er die beiden 8. Klassen, die
stark überfüllt sind, zu drei Klassen mache. Jede Klasse
wäre dann immer noch ungefähr 40 Kinder stark, und der
neuhinzugekummene Lehrer bekäme die eine Klasse und
wäre gut untergebracht. Wir brauchten dem Rektor unseren
Vorschlag gar nicht zu unterbreiten, der Gedanke hatte
sich schon übertragen. An einem der nächsten Tage machte
er denselben Vorschlag den beiden Kolleginnen der
8. Klassen *)
Derselbe Vorgang liegt wohl dem folgenden Fall zu-
gmnde. Ein junger Freund, der Universitätskurse besucht,
erzählte mir gelegentlich, daß er über Ellen Key's „Das
Jahrhundert des Kindes* eine Arbeit zu liefern habe und
aus diesem Grunde sich das Buch bestellt habe. Im Laufe
des Gespräches teilte ich ihm beiläufig mit, daß ich das
Buch besitze. Ich vergaß die Sache bald. Nach ungefähr
drei Wochen dachte ich ganz unvermittelt: „Wenn Herr Gr.
das Buch uicht bekommen hat, kann ich es ihm ja leihen.*
Dtmit war auch dies wieder vergessen. .Nach ein paar
*) üer Gedanke der Teilung lag für jeden Praktikus auch sehr nahel
Schrifti.
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