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176 Psychische Studien. XLVI. Jahrg. 3, Heft. (M&rz 1919.)
punkt obigem Vorwurf gegenüber hiermit öffentlich wahren. Daß
der Krieg für Deutschland durch allmähliche innerliche Zermürbung
verloren ging, steht auch uns außer Zweifel: daß aber die große
Mehrzahl der Sozialdemokraten ihre vaterländische Pflicht anfänglich
geradezu musterhaft erfüllt haben, kann doch kaum ein gerechter
Beurteiler bestreiten. Er*t die unentschuldbare Verweigerung
des preußischen Wahlrechts durch die unbelrhibare Junkerp^rtei
erzeugte — neben ebenso unbestreitbaren Mißgriffen vieler, namentlich
jugendlicher Offiziere — eine zunehmende Mißstimmung im
Heer, die das ursprünglich ideal schöne Verhältnis zwischen Oinzier
und Mannschaft arg untergrub. Dazu kamen u. E. naen Mißglücken
der Offensive auf Paris im Frühjahr vor. J., unbegreifliche Kopflosigkeiten
auch in der Oberleitung wie die Verschärfung des Unter-
seebotskriegs in einem Augenblick, wo das Eingreifen Amerikas
noch verhü ;et werden konnte. Wir verstehen es namentlicn auch
nicht, weshalb der geniale Ludendorff, d< « sich doch nach dem Abfall
Bulgariens sagen mußte, daß im Osten doch nichts mehr zu erreichen
sei, nicht schk anigst die vielen do*t stehenden Truppen, insbesondere
die Armee Mackensen s rechtzeitig, solange der Weg durch
Oester* eich -Ungarn noch offen stand, nach dem Westen dirigierte.
Aber noch unbegreiflicher bleibt uns, daß im verhängnisvollen
Augenblick Kaiser und Kronprinz über die Grenze gingen und sich
damit jeder weiteren Verantwortung gegenüber ihrem Volk zu entziehen
suchten. Dieser Schritt, der geradezu den Eindruck der zu
ihrem sonstigen ruhmreichen Verhalten und wirklich vornehmen
Wesen im .Widerspruch stehenden Feigneit machen mußte, führte
durch die Überzahl und Ubermacht der Gegner schließlich jene vej-
zweifelte Lage herbei, aus der nur noch die Errichtung eine/sozialen
Eepublik Rettung bringen konnte, wenn auch das deutsche Volk
nicht reif dazu erscheinen mochte. Wenn dann die unabhängigen
Sozialisten sich der Mehrheit nicht fügten und die Spartakusgruppe
m t der Diktatur des Proletariats an die brutaleGewalt appellierte,
und wenn jetzt nachgerade in den weitesten Volkskreisec jede Moral
— iitjjiUöb eibliche Folge eines so entsetzlichen Kriegs — unter-
g», i irscheint, so können uns diese freilich trostlos erscheinenden
Zu? ci.cue immer noch nicht den Glauben an eine bessere Zukunft
des deutschen Voiirs in einem ZeLalter des Sozialismus und der
VGlkerveibrüdemng rauben, worin wir im großen Ganzen einen
K ilturioiiöcnria erblicken. Man muß sich über diese häßlichen Be-
gi ttc -scheinuntren jeder großen Revolution mit Schiller's schönen
, Worten des (<lauban»* uGaten: *Vor dem Bklavcn, wenn er die
Ke*,le bricht, vor dem fjeiea Menschen erzitteit nicht/ Also rüstig
mitprbeiten in froher Zuversicht and trotz alledem nicht an der
Menschheit verzweifein!
Druckfehlerberichtigung.
Im Februar-Heft war zu lesen: 8. 91, Z. 14 v. u.: Originalität;
8. 102, Z, 10 v. u.: Zungenkrebs (Zuckerkrebi); S. H9, Z. 17 v. u.:
(Deutsch, (st. Deatch-j; S. 110, Z. 1 v. o.: Klarheit; S. III. Z. 24
v. u.; okkultistische.
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