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194 Psychische Studien. XLVI. Jahrg. 4.-5. Heft. (April-Mai 1919.)
Nachricht eingegangen, auch alle Erkundigungen über sein
Schicksal sind erfolglos gewesen, sodaß man heute wohl
mit Fug annehmen darf, daß er nicht mehr am Leben ist
und daß der 8. August 1916 sein Todestag war. Sollte
diese sehr naheliegende und begründete Annahme jedoch
nicht zutreffen, so hat das auch nichts zu sagen, da zweifelsfrei
feststeht, daß er sich am 8. August mindestens in
allergrößter Lebensgefahr befand und alsdann ebenen einem
Zustand höchster Erregung „außer sich gekommen ist" und
als Ekstatiker die Signale in die Heimat gesandt hat. —
Der zweite Fall ist älteren Datunis, aber deshalb nicht
minder ein wandsfrei festgestellt. Er ereignete sich am 19.
Juni 1885 in Göppingen. An diesem Tage starb die am
7. Juni 1806 geborene Fr. Sch. an Altersschwäche, bie war
eine sehr entschlossene und willensstarke Frau und sagte
in ihren letzten Lebensjahren wiederholt zu ihrer Schwiegertochter
, der jetzigen Witwe Marie Sch., welche beim Ableben
eines Menschen Grauen empfand und sich daher von jedem
Sterbebette fernhielt: „Warte nur, wenn ich einmal sterbe
und Du bist nicht da, so gucke ich noch einmal extra zu
Dir hinein.* Am Abend des 19. Juni 1885 fühlte sie nach
kürzerem Krankenlager ihr Ende herannahen und sprach
deshalb die Bitte aus, man möchte ihre Enkelin, die jetzige
Frau B., herbeirufen, die damals 16 Jahre alt war. Die
Enkelin kam abends 6 Uhr zur Großmutter und war beständig
um sie, während die andern Angehörigen ab- und
zugingen. Wiederholt sagte die Sterbende: „Bleibet bei
mir, daß ich im Sterben nicht allein bin!* Dann bemerkte
sie, sie habe zwar das Welttreiben satt, aber sie hätte auch
gerne noch ein Jährlein gelebt. Gegen 2 Uhr in der Nacht
fragte sie plötzlich: „Seid Ihr alle da?* Die Enkelin antwortete
mit „Ja*, obwohl sie wußte, daß ihre Mutter, die
obengenannte Witwe Marie Sch., nicht da war. In diesem
Augenblicke bekam die Sterbende einen starren, stechenden
Blick, der unbeweglich nach oben gegen eine Zimmerecke
gerichtet war. Alle Spuren des Lebens schienen verschwunden
und man glaubte, der Tod sei eingetreten. Dem war
jedoch noch nicht so, denn nach einigen Minuten tat sie
einen tiefen Atemzug, bewegte die Augen wieder und sah
jedes der Anwesenden der Reihe nach ausdrucksvoll an,
wie um Abschied zu nehmen. Sprechen konnte sie nicht
mehr. Wenige Augenblicke noch dauerte der Todeskampf,
dann hauchte sie ihr Leben mit einem Seufzer aus. Gleich
darauf verließ die Enkelin das Sterbezimmer und eilte die
Treppe hinab, um ihrer einen Stock tiefer wohnenden
Mutter den eingetretenen Tod der Großmutter zu melden»
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