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214 Psychische Studien. XL VI. Jahrg. 4.-5. Heft (Aprii-Mai 1919.)
v nur oberflächlich, sie halten bloß die äußeren Formen des
Dienens ein, weil wenige dazu berufen sind, das Dienen
und das Befehlen zu lehren.
Materielle Verhältnisse, Tradition, Hoffnungen, Beispiele
von Erfolg führen sie diesem Berufe, vornehmlich der militärischen
Laufbahn zu. Das Befehlen, die ÄuArung des
Willens bleibt oft nur in Worte gekleidet; der Wille wird
bloß im Schall der Worte zum Ausdruck gebracht, die
systematische, ständige Entwicklung der Willensiibertragung
wird nicht gelehrt und nicht geübt: die Technik der geistigen
Einwirkung fehlt, bloß die Technik der Befehlserteilung
ist vorhanden. Dem Befehlenden stehen nur die festgelegten
Rangunterschiede, die Skala der verschiedenen Strafen bei.
Die ihm nicht untergeordnet sind, werden durch die den
Standesunterschied zum Ausdruck bringenden Äußerlichkeiten
oberflächlich, auf dem engbegrenzten Gebiete der
gesellschaftlichen Berührung beeinflußt. Zu diesen äußerlichen
Mitteln gehört die Uniform des Offiziers, der Ornat
des Priesters, die Kutte des Mönches, der betreßte Rock
des Türhüters usw. Die Menge, der bedrückte kleine Mann
wird von den guten Kleidern auch schon beeinflußt. Im
gewöhnlichen Leben nennt man das „man imponiert ihnen*
und oft gibt es Leute mit einem leeren Gehirn, starker
Willenskraft, guten Kleidern, die ihren Weg im Leben
machen. Sie verstanden eben das Sprichwort: „Kleider
machen Leute* folgerichtig und zur rechten Zeit, am rechten
Ort anzuwenden. *
Zerfahrenen und kranken Leuten helfen weder gute
Kleider noch Abzeichen ihres Standes und Ranges. Schon
nach kurzer Zeit fühlt der Gegenüberstehende den Mangel
an Produktion von Willenswellen heraus und da haben
Befehlsworte, seien sie noch so scharf und als suggestiv
gedacht, — keinen Einfluß mehr, da sie nur Schall und
Klang bleiben, und der Befehlende wird bald, nach und
naqh dem Einflüsse der intakten und kräftigen Willensäußerung
seiner Untergebenen unterworfen. %
Er glaubt zu befehlen, er glaubt, daß ihm gehorcht
wird, während die Untergebenen eigentlich ihren eigenen
Willen geltend machen und in die Tat umsetzen.
Oft beherrschen Kinder mit ihren kräftigen Willenswellen
ihre von Sorgen heimgesuchten und .durch Krankheit
geschwächten Eltern — und diese glauben, daß sie die
Wünsche ihrer Kinder aus Güte, aus Liebe, ans gewollter
Nachgiebigkeit erfüllen.
Sensitive Naturen, die irgendwo unter viel stillsitzende,
schweigende Menschen geraten, verlassen den Raum oft
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