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224 Psychische Studien. XLVI. Jahrg. 4 -5. Heft. (April-Mai 1919.)
mit einer endlichen Menge Energie betrachtet, so wird bei jeder
Arbeitsleistung ein Teil der Energie entwertet, und wenn der
Wärmeausgleich in der Welt vollendet ist, so ist wohl fiktiv auf
dem Papier noch der ganze Energievorrat vorhanden, aber es kann
wegen mangelnden Identitätsunterschiedes keine Arbeit mehr geleistet
werden, sodaß man den Teil der Energie, der keine Arbeit
mehr leistet, füglich Anergie nennen könnte. Diese Energie steht
in der Energiegleichung also gewissermaßen wie ein Rechenpfennig
zu Buche. Wie ja auch in der kaufmännischen Buchführung
fiktive Summen auftreten. — Diese Überlegungen zeigen,
daß die Tatsachen an sich es gestatten würden, das Geschehen
auch anders zu „lesen" und weisen damit darauf hin, daß man nicht
allzu starr auf der Absolutheit der Energiegesetze bestehen sollte,
man wird damit auch der Wechselwirkungstheorie eher gerecht
werden können und gegebenenfalls auch hier „Unregelmäßigkeiten
im Weltbild*4, wie Ostwald einmal gelegentlich der Entropie sagt,
ruhiger hinnehmen.
Um die Wechselwirkungstheorie fhit den Forderungen der
Naturwissenschaft in Einklang zu bringen, hat man verschiedene
Wege eingeschlagen. Man unterscheidet beim Energiegesetz bekanntlich
das Konstanz- vom Äquivalenzprinzip. Das Konstanzprinzip
besagt, daß das Quantum Energie in der Welt konstant
ist und ueder einer Verminderung noch Vermehrung fähig ist;
dieses Prinzip ist durch Experimente nie exakt zu beweisen, da
wir nicht in der Lage sind, die gesamte Energie zu messen. Das
Äquivalenzprinzip betont, daß bei jeder Energieumwandlung die
Energfcsumme am Schluß gleich der am Anfang ist. Jedoch sagt
das Prinzip nur etwas aus über das Gebiet, auf dem es aufgestellt
ist, nämlich auf physischem, schließt also eine Wirkung des Psychischen
auf das,* Physische und umgekehrt mit Änderung der
Energiesumme nicht aus. Und auch das Konstanzprinzip wird nicht
dadurch berührt, es mag bei Annahme der geschlossenen Naturkausalität
zutreffen, es fragt sich aber gerade, ob sie geschlossen
ist und ob nicht Psychisches auf die physische Natur wirken könne.
Dagegen hat man nun geltend gemacht, daß sehr genaue Untersuchungen
über den Energiehaushalt der Lebewesen gezeigt haben,
daß Ausgaben und Einnahmen sich die Wage halteu; die Unterschiede
sind so klein, daß sie im Bereich der Fehlerquellen liegen.
Danach wäre also keine Möglichkeit eines Energieverlustes bei
Wirkung auf Psychisches vorhanden und auch kein Gewinn im
umgekehrten Fall denkbar. Immerhin ist zu bedenken, daß die in
Frage kommenden Energieumsetzungen sicherlich recht klein sein
werden und daß sich außerdem Verlust und Gewinn* ungefähr die
Wage halten dürften. Efn entscheidender Einwand gegen die
Wechselw*rkungstheorie ist also nicht darin zu erblicken.
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