http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1919/0229
Tischner: Leib und Breie
225
Jedoch hat man noch andere Wege eingeschlagen, um dieser
Schwierigkeit zu begegnen. Der radikalste ist der, daß man das
Psychische selbst zu einer Energie gemacht hat, womit man allerdings
allen Schwierigkeiten aus dem Wege gehen zu können
scheint. In einem früheren Aufsatz habe ich gezegt, daß es aus
den verschiedensten Gründen nicht angeht, eine psychische Energie
anzunehmen, infolgedessen ist dieser Weg trotz alles Verlockenden,
was er scheinbar bietet, ungangbar. (Psych Stud. 1918, Nr. 8—10.)
Weiterhin ist bemerkt worden, daß Veränderungen in der materiellen
W^lt unter Umständen auch ohne Energieaufwand von
statten gehen, urd zwar dann, falls die Einwirkung senkrecht zur
Bewegungsrichtung stattfindet. Unter dieser Bedingung wäre also
eine Einwirkung der Seele auf physisches Geschehen möglich.
Wenn man dagegen einwendet, daß es doch sehr merkwürdig sei,
daß gerade diese selten verwirklichte Möglichkeit hier zur Tatsache
werde, so ist z erwidern, daß es nicht wunderbar ist, wenn die
Seele nur unter den Umständen wirkend eingreift, unter denen ihr
das altein möglich ist, man müßte sich sonst auch wundern, daß
das Licht gerade durch eine Meine Mauerritze dringt, während die
Mauer ihm das sonst unmöglich macht
Zum Schlüsse sei dem auch jedem Okkultisten bekannten
Physiker Oliver Lodge das Wort erteilt: Das Gesetz der Erhaltung
der Energie ist eine durchaus berechtigte Verallgemeinerung; wir
zweifeln nicht an der Erhaltung und Konstanz derselben, wennschon
wir noch nicht sicher sind, schon alle ihre Formen zu kennen.
Aber dabei müssen wir uns vor einem schweren Mißverständnisse
hüten, in das viele hineingeraten sind, als ob nämlich dieses Gesetz
zugleich die Annahme von Lenkung und hinzukommender,
richtungsbestimmender Kontrolle ausschlösse, während es in Wirklichkeit
mit diesen Dingen gar nichts zu tun hat. Manche Philosophen
haben viel zu schnell diese Konsequenz gezogen, daß, weil
die Energie konstant sei, deswegen keine Lenkung derselben
möglich sei, sodaß alle psychische oder andere Beeinflussung
ausgeschlossen sei. (Leben und Materie.)
Man sieht also jedenfalls, daß eine Wirkung von Seelischem
auf Körperliches und umgekehrt durchaus nicht auf Grund des
Energiegesetzes von vornherein abzulehnen ist, es bestehen im
Gegenteil verschiedene Möglichkeiten. Nun sagt man allerdings
noch, daß es undenkbar und tatsächlich unbekannt sei, wie nun die
Wirkung zu denken sei. Was aber wissen wir denn im Grunde
über diese Frage auf physischem Gebiet ? Was wissen wir schließlich
über die Energieübertragung von einer Billardkugel auf die
andere? Wir stellen nur fest, daß, wenn eine Kugel die andre trifft,
die ruhende in Bewegung gerät; wir können die Richtung bezeichnen
und eine Energiegleichung aufstellen. Alles andere aber über
das, was da wirklich geschieht, ist im Dunkel. Und was wissen
Ij
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1919/0229