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238 Psychische Studien. XLVI. Jahrg. 4.-5. Heft. (April-Mai 1919.)
,In den Werken des Monsieur du Ches ne, eines
der besten Chemiker seiner Zeit, findet man angeführt^
daß ihm zu Krakau ein polnischer Arzt gewisse mit Asche
angefüllte Phiolen gezeigt habe, in welchen man nach gehöriger
Erhitzung die Gestalten verschiedener Pflanzen
wahrnahm. Zuerst bemerkte man ein dunkles Wölkchen,
das allmählich eine bestimmte Form annahm und vor dem
Auge eine Rose oder sonst eine Pflanze, je nachdem die
Asche aus einem Material genommen war, darstellte. Monsieur
du Chesne war jedoch trotz mehrerer Versuche nie
imstande gewesen, das Experiment nachzumachen, bis es
ihm zufällig in folgender Weise gelang: Er hatte für
irgendeinen Zweck aus verbrannten Nesseln die Salze ausgezogen
und sie die ganze Nacht außerhalb des Hauses
zur Abkühlung liegen lassen. Am Morgen fand er die
Auflösung gefroren, und zu seinem großen Erstaunen war
die Form und Gestalt der Nesseln so genau auf dem Eise
dargestellt, daß die frische Pflanze nicht vollkommener
hätte sein können. Hoch erfreut über diese Entdeckung
zeigte er sie dem Parlamentsrat de Luynes, und beide
zogen daraus den Schluß, daß nach dem Tode eioes Körpers
seine Gestalt noch in der Asche fortlebe.
Kircher, Vallermont, Digby und andere sollen diese
Kunst, die Form der Pflanzen aus ihrer Ascbe wieder zu
erwecken, gleichfalls geübt haben, und bei der Versammlung
der Naturforscher zu Stuttgart im Jahre 1834 nahm
ein Schweizer Gelehrter den Gegenstand wieder auf, indem
er eine Anweisung für den Versuch mitteilte, die er
einem Werke Oetingers „Gedanken über die Geburt und
Entstehung der Dinge* entlehnt hatte. „Die irdische
Hülle*, sagt Oetinger, „bleibt in der Retorte, während die
flüchtige Wesenheit wie ein Geist in die Höhe steigt, vollkommen
in der Form, aber der Materie beraubt.*
Oetinger spricht auch von einer anderen Entdeckung,
auf die er, wie er sagt, unversehens verfiel. Ein Weib
hatte ihm einen großen Melissenbüschel gebracht; er legte
ihn unter das Dach, das von der Sommerhitze noch warm
war, um ihn im Schatten zu trocknen. Da dies im Monat
September stattfand, trat bald die Kälte ein, welche die
Blätter zum Einschrumpfen brachte, ohne die flüchtigen
Salze auszutreiben. So blieben die Pflanzen bis zum folgenden
Juni liegen. Er zerschnitt sie jetzt, brachte sie in
eine gläserne Retorte, goß Regenwasser darauf und setzte
einen Rezipienten an. Nachdem er das Gemisch zum
Kochen gebracht hatte, erhöhte er die Hitze, worauf sich
auf dem Wasser eine Schicht gelben Oels von Messer-
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