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.102 Psychische Stadien. XLVI. Jahrg. 6. Heft. Muni 191SU
kommenheit aufträte, eine Voraussetzung, die fast wunderbarer
ist als das, was erklärt werden soll. Man bedenke,
es handelt sich darum, den Vorgang ohne jede Ziel-
strebigkeit oder sonstige nicht mechanische Faktoren zu
erklären. Das ist aber gerade so wahrscheinlich, als daß ich
mit einem Gewehr in der Luft umherfuchtelnd sechsmal
hintereinander ins Schwarze treffe und ebensogut möglich,
als daß ein Tier ohne Auge plötzlich durch Variation in
den Besitz von komplizierten Augen mit Sehnerv, Netzhaut,
Linse usw. kommt. *Es heißt hifr alles oder nichts. Jeder
einzelne Schritt wäre völlig nutzlos und es ist auch nicht
so, daß der erste Schritt den zweiten von selbst nach sich
zöge. Wo liegt die Nötigung für die Larven, wenn sie in
der Nähe von den Gängen leben, die Drohnen zu befallen?
Man sieht, diese Theorie erklärt nichts, da sie mehr Bätsei
aufgibt, als sie löst. Denkt man daraufhin das Beispiel von
der Yuccamotte durch, so kommen wir zu demselben Ergebnis
. Die Wahrscheinlichkeit, daß sich unter unzähligen
möglichen Handlungen zufällig gerade die an sich vonein-
andger völlig unabhängigen rfanllungen - wie Entnahme
des Blütenstaubs, Kneten eines Knäuels, Aufsuchen einer
zweiten Blume, an der zwei andere Handlungen vorgenommen
werden, nämlich Eiablage im Pistill und Ablage
des Pollenknäuels auf der Narbe —, die Wahrscheinlichkeit,
daß diese Reihe von Handlungen zufällig durch Gewohnheit
entsteht, ist gleich Null. Das gleiche gilt von solch kom-
plizierter Konstruktion, wie dem reusenartigen Verschluß
des Gespinstes der Nachtpfauenaugenraupe, und warum
soll gerade die Larve des Hirschkäfermännchens die
Gewohnheit annehmen, die Höhle doppelt so groß zu
machen?
Wenn vielleicht früher, als der Darwinismus unumschränkt
herrschte, die Schwierigkeit der Theorie nicht genügend
gesehen wurde, da sie von dem allgemein an-
eiannter? Darwinismus mit getragen und gestltzt wurde,
so kann sie heutzutage, wo man eingesehen hat, daß die
Darwinsche Theorie durchaus unvermögend ist, das zu erklären
, was sie erklären will, gleichfalls nicht mehr als eine
befriedigende Lösung des Problems angesehen werden. Sie
stürzt zusammen, sobald man erkennt, daß der Zufall der
Variation bei der Darwinschen Theorie im allgemeinen wie
hier im besonderen das nicht leisten kann, was man von
ihm verlangen muß. Und auch lamarkistische Anschauungen
führen uns hier nicht weiter, denn es wird auf die Weise
nicht klar, wie solche einmalige Handlungen, wie die der
Yuccamotte z. B., zu Gewohnheiten im Sinne des Lamarkis-
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