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346 Psychische Studien. XLVL Jahrg. 7. Heft. (Juli 1919.)
Da nun die andern Theorien, wie wir sehen, versagen,
so könnten wir es uns leicht machen und es ebenso wie die
anderen Theorien bei der Behauptung bewenden lassen: da
diese Theorien grundsätzlich unzureichend seien, so bleibe
nur die unsrige übrig, daß die Instinkthandlungen auf Hellsehen
beruhen. Doch wir wollen es uns im Gegensatz zu
den anderen Theorien nicht allzu bequem machen und treten
jetzt noch Einzelheiten des Problems näher.
Da ist erstens nicht zu übersehen, daß zwischen Hellsehen
und Instinkt gewichtige Unterschiede bestehen. Das
Hellsehen ist eine bei sehr wenigen Menschen willkürlich
oder meist unwillkürlich auftretende Fähigkeit, die außerdem
meist an einen besonderen Bewußtseinszustand gebunden
ist und vielfach mit Irrtümern behaftet ist. Bis zu einem
gewissen Grade ist die Fähigkeit auch übungsfähig. Der
Instinkt dagegen ist allen Individuen einer Art oder eines
Geschlechts oler „Berufs« (Drohnen, Arbeiterinnen, Königin)
eigen und wird seiner Zeit im entsprechenden Augenblick
mit annähernd gleicher Vollkommenheit das erste Mal wie
das letzte Mal ausgeführt, falls es sich nicht um eine einmalige
Ausübung handelt. Die Unfehlbarkeit darf man
übrigens nicht überschätzen, genauere Untersuchungen haben
da doch die früheren Ansichten etwas eingeschränkt. -
Diesen zweifellosen Unterschieden von Instinkt und Hellsehen
steht aber eine sehr gewichtige Ähnlichkeit gegenüber
, es ist das die Tatsache, daß die Instinkthandlungen
in einer Art und Weise vor sich gehen, daß ein auf Sinneswahrnehmung
begründetes Wissen als ausgeschlossen anzusehen
ist, wie z. B. das Benehmen der Yuccamotte zeigt.
Ganz ähnlich liegt es in dieser Beziehung mit dem Hell-
sehen, auch hie/ist eine Sinneswahrnehmung nicht vor-
handen. So kann z. B. ein Mensch auf hellseherischem
Wege von irgend etwas Kenntnis erhalten, was ihn m
einer Handlung veranlaßt. Würde ein anderer ihn dabei
beobachten, ohne daß beide darüber sprächen, so würde der
Beobachter ganz den Eindruck haben, als ojb der Hellseher
instinktiv gehandelt hätte. Noch größer würde diese Ähnlich-
keit werden, wenn der Hellsehtr keine bewußte Kenntnis
erhalten hat, sondern mehr triebartig die Handlung vollführt
, wie ja dergleichen öfter berichtet wird. In beiden
Fällen also ein Handeln, auf Grund eines Wissens, das nicht
auf Sinneserfahruag beruht. Diese Tatsache der mangelnden
Sinneswahrnehmung ist das Kennzeichnende des Hell-
sehens und zugleich die^beherrschende Eigentümlichkeit der
Instinkte. Und zwar ist es keine bloße äußerliche Ähnlichkeit
und billige Analogie. Das Hellsehen ist der Definition
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