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874 Psychische Studien. XL Vf. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1019.;
deren Skeletten man ihre eigenen Jungen gefunden hat. Hier und
tfei der kommenden spiritualistisehen Rückwirkung ist noch viel
Stoff für die Pathologen. Albert Kniepf.
„Ein Aufruf an die Gelehrten".
Motto: „Wie magst du deine Bednerei
Nur gleich so hitzig übertreiben ?«
Unter dieser Uberschrift sandte die in sehr bedrängter
Lage befindliche 40jährige Schriftstellerin Grete Meisei-
Hess, deren Gatte in sibirischer Kriegsgefangenschaft verschollen
ist, der Berliner „Nationalzeitung* einen Brandartikel
ein, worin sie vor dem „spiritistischen Unfug0 mit
Tischrücken und mediaüimem Schreiben warnt, wodurch in
unzähligen Fällen Geisteskrankheiten und Nervenqualen
entstehen sollen, die vielfach mit Selbstmord endigen. Durch
das automatische Schreiben werde dem Körper ein elektromagnetischer
Strom entzogen, der dann den Gehirnuerven
fehle und schwer wieder zu ersetzen sei. Sie selbst will
durch Teilnahme an einer einzigen spiritistischen Sitzung
(Mitte Oktober 1918) durch nächtliches Stimmenhören in
einen Zustand von Schlaflosigkeit geraten sein, in welchem
sie seitdem ca. 20 Ärzte konsultiert habe; auch die stärksten
Schlafmittel konnten keinen Schlaf erzielen. Ungefähr
90°/o gesunder normaler Menschen seien durch diesen „Humbug
* , dessen Ergebnisse eitel Lug und Trug seien, dem
Irrenhause nahegebracht worden, so daß es Pflicht aller
Neurologen und Psychiater sei, vor der spiritistischen
Literatur zu warnen. Da auch die Sonntagsausgabe des
„Neuen Wiener Journals* vom 18. Mai 1919, diese „Warnung*
abgedruckt hat, steht zu befürchten, daß die Feinde des
Okkultismus aus diesem Aufruf einer offenbar hysterischen
Dame, deren bedauernswerter Zustand den freien Gebrauch
ihrer sonstigen Verstandskraft sichtlich beeinträchtigt, Kapital
schlagen, weshalb eine Kritik in diesen Blättern angezeigt
erscheinen dürfte. Die wahren Gründe für den
psychopathischen Zustand der Verfasserin linden wir gleich
eingangs dieses Artikels in der erklärenden Vorbemerkung,
wo es heißt: „befindet sich durch ihr Leiden in sehr bedrängter
Lage, da ihr Gatte in sibirischer Kriegsgefangenschaft
verschollen ist und der mittellosen Schriftstellerin
noch die Sorge um ihre alte Mutter obliegt/4
Es ist ja immerhin möglich, daß in solch verzweifelter
Lage sich die psychische Depression noch steigert, wenn man
im Spiritismus Trost sucht, und sich darin dann schmerzlich
enttäuscht sieht, Aber wie harmlos erscheint der Spiritismus
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