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402 Psychische Btudien XL VI. Jahrg S. Heft (August 1919.)
men darstellt und dere<i Ähnlichkeit mit einem verstorbenen
Menschen nachträglich festgestellt werden konnte, so bedeutet
das offenbar nichts anderes, als daß die Ursache de*
betreffenden Materialisationsphänomens eben in jenem verstorbenen
Menschen zu suchen sein muß. Die verschiedenen
Theorieen darüber, wie und durch welche Bedingungen ein
solches Materialisationsphänomen zustandekummt, habe ich
hier nicht zu untersuchen. Aber auch selnn bei den vorher
besprochenen Materialisationsphantomen, die eine Ähnlichkeit
mit verstorbenen Personen aufweisen, die dem Medium
oder den Anwesenden in ihrem Leben bekannt waren,
können wir zu einem solchen Schluß gedrängt werden. Es
geht z. B. nicht an, ein Phantom für ein bloßes organisierte*
Gedächtnisbild aus dem Bewußtsein des Mediums oder der
Zirkelteilnehmer zu erklären, weil das Medium oder die
anderen diese Person bei ihren Lebzeiten flüchtig gesehen
oder gekannt haben, — wenn gleichzeitig das Phantom in
seinen Bewegungen und intellektuellen Äußerungen ganz
besondere eigentümlich-charairteristische Züge aufweist, die
dem Medium oder den anderen uicht bekannt sein konnten.
Aus diesem Grunde kommen die intimen Bekannten oder
Verwandten der betreffenden Persönlichkeit auch schon in
einem solchen Falle zur inneren Überzeugung, daß das sich
manifestierende Materialisationsphantom mehr sein muß, als
bloß ein vom Medium oder einem Zirkelteilnehmer erzeugtes
organisiertes Gedächtni-bild des Verstorbenen. Da nun
aber eine innere Überzeugung, so wertvoll und befriedigend
sie an und für sich ist, niemals das darstellt, was wir einen
äußeren wissenschaftlichen Beweis für die Wahrheit der betreffenden
Tatsache nennen, so wurde und wird von der
Kritik immer der folgende Einwand erhoben: das Wiedererscheinen
des Geistes eines verstorbenen Menschen könne
wohl geglaubt werden, niemals aber den Wert einer wissenschaftlichen
Tatsache für sich in Auspruch nehmen. Die
Frage nach der „Identität** des sich manifestierenden Geistes
bildet auch bei vielen der spiritistisch überzeugten immer
noch einen Punkt, der ungelöst und unlösbar erscheint, soweit
dabei die Forderungen des äußeren Verstandes und
des wissenschaftlichen Denkens in Frage kommen.
Demgegenüber will ich nun zu /eigen versuchen, daß
das im Grunde ein Irrtum ist.
Denn genau so, wie jede äußere wissenschaftliche Feststellung
— mit alleiniger Ausnahme der Mathematik — im
letzten Grunde nur einen Annäherungswert darstellt, und
jede wissenschaftliche Erklärung, die sich auf einer solchen
äußeren Festeteilung aufbaut, immer nur von allen mög-
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