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454 Jfsychische Studien. XLVI. Jahrg. 0. Heft. (September 1919.)
Merkmale einer uns bekannten, vertrauten Person in dem
Materialisationsphänomen vorhanden sind; wenn die nahen
Angehörigen die unzweifelhaften, oft nur ihnen bekannten
Merkmale und charakteristischen Eigentümlichkeiten an der
Erscheinung wiedererkennen; wenn ihnen schließlich ein
untrügliches inneres Gefühl sagt, daß die sich manifestierende
Persönlichkeit der Geist ihres verstorbenen Angehörigen
ist — so kann wohl der oben angeführte Einwand
in Worten erhoben werden. So lange aber t!ie Richtigkeit
dieses Einwandes in dem einzelnen Falle nicht nachgewiesen
ist, hat er für die Beurteilung des betreffenden Falles gar
keine Bedeutung. Es bleibt eben immer nur ein Einwand,
den der absolute Skeptizismus vorsichtigerweise erhebt.
Aber mit demselben Recht kann ja auch behauptet werden,
daß wir garnicht absolut wissen, ob der vor uns stehende
lebende Mensch, der sich so und so nennt, den wir gewohnt
sind, an ganz bestimmten individuellen äußeren und
inneren Merkmalen bei jeder neuen Begegnung wiederzuerkennen
, wirklich er selbst ist. Denn, so kann gesagt
werden, wir wissen ja garnicht, ob nicht ein ganz anderes
Wesen, als für welches er sich ausgibt, sich in ihm verbirgt
und durch Annahme seines Namens und der ihm
eigentümlichen äußeren und inneren Merkmale uns in einer
absichtlichen Täuschung erhält. In der spiritistischen Praxis
liegen gewiß Fälle vor und sind auch bekannt, wo Lügengeister
sich ein Vergnügen daraus machen, Leichtgläubige
auf die eine oder andere Weise zu täuschen. In der Regel
läßt sich aber die Täuschung sehr bald feststellen, wenn
man kritisch vorgeht, und sehr bald lassen dann auch diese
Geister ihre Maske fallen. Umgekehrt gibt es aber in der
spiritistischen Literatur eine so überwältigende Anzahl von
atsächlichen Wiedererkennungen Verstorbener durch ihre
Verwandten und Bekannten, Schilderungen von jahrelangem
Verkehr mit diesen aus dem Körper geschiedenen Geistern
durch kritische und einwandfreie Zeugen, daß an der Tat-
säcl lichkeit dieser Dinge gar nicht gezweifelt werden kann.
Daß einzelne Mißbräuche, Mystifikationen, Täuschungen
vorkommen, ist nur natürlich. Denn so voll die irdische
Welt von Spöttern und zur Täuschung bereiten Personen
ist, so bevölkert ist davon auch das Jenseits. Da nun, wie
wir wissen, der Durchgang durch den Leibestod für uns nicht
ein plötzlicher Sprung von der UnVollkommenheit zur
Vollkommenheit ist, sondern ein langsames Vorschreiten
auf dem Wege der Entwicklung, so ist es auch klar,
woher die vielen Spott- und Lügengeister stammen, die
uns dort begegnen. Im Gegenteil, das völlige Fehlen
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