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Kaindl: Was ist Suggestion?
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anlangt „jeden Eindruck, jedes seelische Bild, jedes Bewußt-
Seinsphänomen« für eine Suggestion zu halten.
bas von ihm außer Acht gelassene Wesentliche ist das,
was die fundamentale Ursache aller magischen Phänomene
bildet, nämlich die Entorganisation von Nervenäther in ihren
verschiedenen Modifikationen und Graden.
Mit Einbeziehung dieser wesentlichen Bestimmung würde
sich die Definition Bernheims wie folgt gestalten:
Die Suggestion ist ein Vorgang, durch welchen eine
Idee, anstatt ins Gehirn- oder Oberbewußtsein, ins Seelenoder
Unterbewußtsein vermittelst entorganisierten Nervenäthers
eingeführt und angenommen wird. Man könnte
übrigens mit Rücksicht auf die ansteckende Kraft (Contagiosa
ät) des Somnambulismus oder der Ekstase, welcher
Zustand die Grandursache aller magischen Phänomene und
somit auch der Suggestion bildet, dieselbe auch definieren
als Infieierung oder Behaftetmachung des Unterbewußtseins
mit einem ihm durch freien Nervenäther übermittelten
Eindruck.
Baß es sieh bei der Suggestion tatsächlich um eine
Einführung in das relativ Unbewußte oder Unterbewußte
handelt, und nicht, wie Bernheim meint, um eine Einführung
in das Gehirnbewußtsein, beweist am besten die stigmataerzeugende
Suggestion, indem sie eine Wirkung auslöst, zu
welcher das Oberbewußte bekanntlich nicht befähigt ist.
Läßt man die llegion, in welche die Suggestion hier ein-
dnngt, auch nicht als die Seele gelten, so ist sie doch die
Sphäre jener schöpferischen Kräfte, deren kontinuierlicher
Wirksamkeit die physische Organisation ihr Dasein verdankt.
Um so tief greifende Wirkungen der Suggestion zu erklären
, darf man nicht, wie die eingangs erwähnten Forscher
an der Obeifläche schürfen, man darf aber auch nicht, wie
der Verfasser oh tut, im Reiche der Phantasie nach Gründen
haschen, da es sonst gar leicht geschehen kann, daß man sich
wie er zuletzt noch in den Irrgarten der Kindheit verliert.
Und dann, wie wi!l man sich auf solche Art mit der
mentalen Suggestion abfinden? Will man fortfahren, sie
zu leugnen?
Eschenmayers scharfsinnige Erklärung der Gedankenübertragung
läßt uns nicht nur die Möglichkeit der Mentalsuggestion
erkennen, sondern eröfftfet uns außerdem auch ein
Verständnis für die Art und Weise ihres Zustandekommens,
Das hier vertretene Erklärungsprinzip der Entorganisation
von Nervenäther bewährt sich übrigens nicht nur
bei der Mentalsuggestion, sondern auch bei der Massensuggestion
, indem der freie Nervenäther als Träger aller
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