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466 Psychische Studien. XLVL Jahrg. 9. Heft, (Heptembei 1919.)
Es ist immer dasselbe loh, das nach Bewußtsein ringt.
So wie es im Traume oft vorkommt, daß man eine Frage
stellt, die man selbst nicht zu beantworten weiß und ein
anderer die Lösung gibt, so ist es im Ringen nach der
Erkenntnis dasselbe Ich, das einmal als Ichthyosaurus gelebt
, um nach Millionen Jahren, im menschlichen Gehirn
bewußt geworden, Kunst, Wissenschaft und Eeli^ion zu
schaffen;
Alles ist mein eigenes Erleben. Was die Menschheit
vor mir gedacht und geschaffen, ist meih eigenes Werk.
Ich bin der Einzige, und was Wissenschah, Kunst und
Philosophie hervorgebracht hat, ist mein Eigentum.
„Ich* ist nur ein Empfindungskomplex, den keine
Realität entspricht. Ich bin nur ein Gedanke Gottes. Des
Mens eben Gedanken sind nur schattenhafte Vorstellungen,
die Gedanken Gottes sind räumlich ausgedehnt, sind die
scheinbar reale Körperwelt.
Daß die Sinnenwelt, wie sie un* erscheint, nur scheinbar
real ist, hat Kant für alle künftigen Zeiten nachgewiesen.
Wenn sich die Philosophie von diesem Staudpunkte entfernt
, dann verläßt sie den Weg, der zum Ziele führt, um
neue Irrwege einzuschlagen. Daher: Zurück zu Kant*
Der letzte Schritt, der Kants Philosophie vom Ziele
trennt, ist die Uberwindung des Dualismus. Gott und die
Welt einerseits, die Welt und Ich anderseits, ergeben,
zusammengefaßt, die Dreiheit: Gott, Körper, Geist. Die
Gleichsetzung dieser Trinität: Gott-Körper-Geist erscheint
mithin als die Lösung des metaphysischen Problems und
ist die kürzeste Fassung des Solipsismus.
Es ist unerfindlich, wie der konsequente Monismus es
anstellen will, um dem verpönten Solipsismus auszuweichen.
Es ist aber auch unerfindlich, warum diese Weltanschauung
so verpönt ist. Aus übertriebener Bescheidenheit? Um
das Ich nicht gleich Gott zu setzen? Aber gerade der
Solipsismus sieht von dem kleinen, individuellen Ich völlig
ab, fordert für sein eigenes Selbst weder liealität, noch
Unsterblichkeit, ist sich seiner Schattenhaftigkeit vollkommen
bewußt und kennt nur ein einzig real existierendes Wesen;
Gott. Ich werde, Gott ist. Im Menschengehirn gelangt
Gott zum Selbstbewußtsein.
Die punktuelle Gegenwart scheidet scheinbar zwei gesonderte
Unendlichkeiten: Vergangenheit und Zukunft. Mit
der Setzung der punktuellen Gegenwart gleich der Ewigkeit
entfällt die Sinnlosigkeit der ersten Annahme.
Dem Mystiker, der sich mit Gott identisch weiß, hat
sich diese Wahrheit schon längst erschlossen.
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