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468 Psychische Studien. XL VI, Jahrg. 9. Heft.] (September 1919,)
verwechselt man den im Weltprozeß werdenden, immanenten
Gott mit dem transzendenten, der ist, nicht wird.
Denselben logischen Fehler begeht der Materialismus,
der Gott im Räume sucht und nicht findet. Das Raum«
erfüllende, die Materie, und das Denkende, der Geist, sind
Gottes Erscheinungsweisen in Kaum und Zeit. Dem Gehirn
des Materialisten offenbart sich Gott als Materie, dem
Gehirn des Idealisten als Geist. Jedem wird diejenige
Offenbarung zuteil, die seiner Gehirnorganisation entspricht.
Das Problem der Weitschöpfung aus dem Nichts ist
mit dem Substanzproblem identisch. Die Kosmogonie der
Bibel zählt nach Tagen, die Kosmogonie der heutigen
Wissenschaft nach Jahrmillionen. Wer wollte sich ver-
messen, die Kosmogonie der künftigen Jahrhunderte voraus
zu ahnen?
Wer Zöllners Hypothese der 4. Dimension nur für eine
mathematische Spielerei ansieht, der keinerlei wissenschaftliche
Bedeutung zukommt, beweist einen derart tiefen dogmatischen
Schlummer, daß es kaum noch an der Zeit sein
dürfte, ihn zu wecken. Wer aber die Fruchtbarkeit der
Hypothese eingesehen, wird kaum dem Wunsche widerstehen
, von Konsequenz zu Konsequenz zu schreiten und
gelangt dann unbedingt zum Solipsismus.
Die Mathematiker haben übrigens die Hypothese für
möglich erklärt und sie wissenschaftlich zu begründen versucht
. Aber »sie begehen den unseligen Fehler, daß sie die
vierte Dimension im — Ra.me suchen. Als ob man die
dritte Dimension in der Fläche finden wollte. Im dreidimensionalen
Räume ist natürlich keine weitere Ausmessung
versteckt, da hilft kein Suchen in alle Ewigkeit. An die
Realität des Raumes glauben und die vierte Dimension
darin suchen, dürfte allerdings hart an den Wahnsinn
grenzen, aber die Hypothese der vierten Dimension, die
an Kants Kritik der reinen Vernunft anknüpft, erhebt den
Anspruch, ernstgenommen und untersucht zu werden, ehe
sie als hirnverbrannt beiseite geschoben Wird.
Die Analogie mit den Anschauungsformen zweidimensionaler
Wesen erweist sich für das Verständnis des transzendentalen
Idealismus so überaus ersprießlich, daß es sich
lohnt, diesen Vergleich zu Ende zu denken.
Sind Zeit und Raum bloß unsere Anschauungsformen,
wie Kant behauptet, dann muß es eine vierte Dimension
geben. Dieser Satz ist eine so notwendige logische Folgerung
, daß er vom krassesten Materialismus nicht bestritten
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