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474 Psychische Studien XLVI Jahrg. 9. Hett. September 1919.)
dem irdischen Kulturideal durch seinen Hymnus auf die griechische
Schönheit und seine Betonung der sozialen Aufgaben des modernen
Menschen als auch dem Jenseitsideal durch seine Darstellung der
Grundgedanken der Mystik am Schluß des Werkes einen überwältigenden
großartigen dichterischen Ausdruck verliehen.
In ähnlicher Weise; sind in den Wanderjahren, deren Thema
einmal soziale Arbeit und wissenschaftliche Forschung (Makarias
Beschäftigung mit Astronomie) und dann religiöser Frieden ist,
beide Ideale gleichwertig vertreten.
Der Mensch ist, wie dies auch Kant hervorhebt, Bürger zweier
Welten, denen er in gleicher Weise gerecht zu werden hat, ohne
daß Diesseits- und Jenseitswerte irgendwie gegeneinander ausgespielt
werden dürfen.
Wenige Worte zum Schluß noch über die den beiden Ober*
werten, um mit Nietzsche zu reden, gegenüberstehenden Unterwerte
, die Teilgebiete des Lebens, die sich jenen als Mittel zum
Zweck unterzuordnen haben. Da möchte ich hauptsächlich vier
Lebensgebiete nennen, die die Aufgabe von Pflanzstätten zur
Pflege jener zwei letzten Menschheitsziele zu erfüllen hätten^
Das ist einmal das körperliche Leben, dann das Familienleben,
ferner das berufliche^und als letztes das staatliche Leben. Jedes
dieser vier Gebiete muß in den Dienst der beiden Hauptziele, des
Erkenntnis<deals und des Ziels der Willensverneinung, des „Nicht
wie %2h will, sondern wie du willst," gestellt werden Ein im
Sinn des Urchristentums asketisch-mystischer Zug liegt in der zuletzt
genannten Forderung. Es ist eine Sache der Lebenspraxis,
dieses weltferne christliche Ideal mit dem diesseitsfreudigen Er-
kenrtnisideai zu verbinden. Kant und der ältere Goethe haben
durch ihr Leben und Schaffen gezeigt, daß Begeisterung für Kunst
und Wissenschaft sich sehr wohl mit der Forderung des kategorischen
Imperativs odes des „Stirb und Werde" und der damit eng
verwandten Mystik, die Goethe einmal die Weltanschauung des
Greisenalters nennt, verträgt«
In gleicher Weise ist es Sache der Lebenspraxis, die genannten
Gebiete mit dem Geist der beiden höchsten Lebenswerte
zu durchdringen. Das körperliche Leben darf nicht Selbstzweck
sein, es ist jedoch wertvoll, um jene höchsten Werte vorzubereiten.
Eine gewisse Askese, z. B. in der Ernährungsweise, ist hier recht
wohl am Platz. Genußmittel, die nach dem Urteil unserer Wissenschaft
nur schädlich wirken, sind rücksichtslos zu bekämpfen,
andererseits ist der Körper durch geeignete Mittel soviel wie
möglich zu kräftigen, um als Organ des Geistes seine Aufgabe
ganz erfüllen zu können.
Ebenso soll Familie, Beruf und Staat die geistigen Aufgaben
vorzubereiten und zu fördern suchen. Selbständiger Wert, ab-
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