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Zeller; Versuch ein, Wertlehre u. Mitberücksiehtig. d. mod. Qkk* 475
gesehen von ihrer Beziehung zu dem höheren geistigen Leben,
kommt auch ihnen in keiner Weise zu. So z. B. ist der Staat nur
insoweit, als er jene letzten Menschheitsziele verwirklieht, als
existenzberechtigt zu bezeichnen. Ein Raubstaat, wie z. B. derjenige
der Serben, hat sein moralisches Existenzrecht verwirkt,
wenn es auch mit noch soviel Chauvinismus und Patriotismus
geltend gemacht wird. Ist jeder unberechtigten Ueberschätzung
des Staates entgegenzutreten, so andererseits auch der Unterschätzung
seiner Bedeutung als unentbehrliches Erziehungsmittel.
Um aber erziehen zu können, muß er auch Macht besitzen. Insofern
gehört Machtpoütik, soweit sie im Dienst höherer geistiger
Gedanken steht, zu den notwendigen Lebensbedingungen eines gesunden
, lebenskräftigen Staates. Ein Staat, der die Ordnung nicht
aufrechtzuerhalten vermag, versäumt seine erste und wichtigste
Pflicht und untergräbt damit die Grundlage seiner eigenen Existenz.
Eingriffe in die Rechte des Einzelnen sind dem Staate durchaus
erlaubt, soweit es sich mit den höheren Zielen, die er verfolgt,
verträgt oder von diesen gefordert wird. Beschränkung oder Aufhebung
von schädlichen Genuümitteln, etwa auch Verbot der Verheiratung
für unheilbar Kranke u. a. dürfte durchaus zu den Rechten,
ja sogar, möchte ich glauben, zu den Pflichten des Staates gehören.
Auch daß jeder einen Beruf auszuüben hat, wird wohl an sich
keine übertriebene Forderung sein. Der Berufstaat, wie ihn der
nur all zu wenig bekannte Hegel'sehe Philosoph Karl Christian
Planck fordert, bleibt wenigstens als hohes Ideal bestehen, wenn
auch eine plötzliche zwangsmäßige Verwirklichung durchaus nicht
wünschenswert sein wird.
Überall im Staatsleben, wie ja auch im gewöhnlichen Leben,
müssen Leistungen und Recht sich möglichst genau entsprechen.
Können beide nicht genau abgewogen werden, so mögen lieber die
Leistungen und Pflichten den Rechten vorgehen als umgekehrt,
eine Forderung politischer Volkserziehung, die leider bei der Festsetzung
staatlicher Rechte in den modernen Verfassungen vielfach
ganz außer acht gelassen wird.
Was die Unterschiede der Gesellschaftsklassen betrifft, so
ist hochmütiger und liebloser Kastengeist in gleicher Weise zu
verurteilen wie alle Versuche, die auf eine gewaltsame Nivellierung
der Gesellschaftsunterschiede ausgehen- Solche Versuche sind,
wie die Geschichte lehrt, vielfach die Antwort der niederen Volksschichten
auf Unterdrückung berechtigter sozialer Forderungen.
Eine weitgehende Sozialpolitik, wie sie Bismarck mit voller Aufrechterhaltung
der Staatsautorität verband, ist daher nicht nur eine
Forderung der Menschlichkeit, sondern auch des politischen Weitblicks
.
Auch das Verhältnis von Staat und Kirche ist von dem Gesichtspunkt
der Volkserziehung aus zu gestalten, deren letztes Ziel
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