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494 Psychische Studien, XLVI. Jahrg. 9. Heft, (September 1919.)
seltenen Schluß, den schon du Bois-Rejniond mit seinem berühmten
„Ignorabimus* stimulierte, daß, was wir dem einen Rätsel abringen,
das andere als ewig unbegreiflich verhüllt, so daß dem Okkultisten
als einzig sicherer Notbehelf nur die Feststellung, Sammlung und
Sichtung eines einwandfreien, möglichst umfassenden Tatsachenmaterials
obliegt, dessen beredter Argumentation sich kein denkender
Mensch auf die Dauer entziehen kann. Ein klassisch schöner Fall
von somnambulistischer, d. i. unbewußter und daher rätselhafter
Seelentätigkeit, die in ihren äußeren Merkmalen das Gepräge ungewöhnlich
hoher geistiger Qualität zeigte und in ihren Folgen
von weittragendster, geradezu weltbewegender Bedeutung war, ise
das von einem großsprecherischen „Assistenzarzt* angezweifelte,
aber sehr glaubhaft berichtete Erlebnis des großen Moltke (vgl. die
im Verlag von Aug. Hirschwald, Berlin erschienene Broschüre des
ehemaligen 1. Assistenzarztes an der Irrenabteilung der Kgl. Charit^
in Berlin, Dr. Paul Samt). Kein Freund unserer Sache darf an
dieser neuesten Erscheinung des okkultistischen Büchermarkts
vorübergehen. Fritz Freimar.
Herbert Silberer (Wiett): Der Traum. Einführung in die Traumpsychologie
. Verlag von Ferdinand Enke. Stuttgart 1U19. 123 Sf
Geheftet M. 4, geb. M. 6.
An Büchern, Abhandlungen und Spezialstudien über den Traum
ist nachgerade kein Mangel. Dagegen fehlte ein kurz gefaßter Wegweiser
zum Studium dieser Schriften und eine Würdigung der elementaren
traumhaften Erscheinungen, besonders hinsichtlich der
bvpnagogischen Halluzinationen im Halbschlaf vor dem eigentlichen
Einschlafen. Beides liefert der auf den Schultern von Karl Albert
Scherner: „Das Leben des Traumes1* (Berlin 1866) und Prof. Dr.
Sigmund Freud: „Die Traumdeutung* (Wien 1900) weiter forschende
Verf. Das Geheimnisvolle, besonders wenn es sich um die Rätsel
des Seelenlebens handelt, hat ja auf den menschlichen Geist von
i'eher eine starke Anziehung ausgeübt. Die einen lieben dabei das
Rätselhafte an sich, wie die Romantiker und die Pneumatologen,
wie Justinus Kerner und du Prel, der im Traum eine Pforte zur
Metaphysik erkannte, die andern, wie Freud und Stekel, wollen es
auflösen, bezw. zum verschwinden bringen. Zu den ersteren zählen
auch Philosophen wie Schopenhauer, der dem Traum alles mögliche
Geheimnisvolle vindizierte und Dr. joh. Volkelt, der in seiner
Schrift: „Die Traumpbantasie* (Stuttgart 1875) das kühne Wort
prägte: „Das Welträtsel, an dessen Lösung Philosophen sich oft lange
vergeblich abmühen, löst der Träumer praktisch jede Nacht* und
vor allem Dichter, wie Hebbel, der in seinen „Tagebüchern* äußert:
,Die menschliche Seele ist doch ein wunderbares Wesen und der
Zentralpunkt aller ihrer Geheimnisse ist der Traum", Gerhart Hauptmann
, der im Immanuel Quint meint: „AIle*verschiedenen Arten
und Grade der Träume erforscht zu haben, würde bedeuten, in einem
weit tieferen Sinne als in irgend einem heutigen, Kenner der menschlichen
Seele zu sein*1 und Richard Wagner, dessen Hans Sachs zu
Walter Stoking sagt: „Glaubt mir, des Menschen wahrster Wahn
wird ihm im Traume aufgetan", Verf. faßt sein Urteil dahin zusammen
: „Am Tage — die Vernunft! Die Zergliederung des Traumes
macht uns mit dem Schatten bekannt. Vergessen wir die Lichtseite
nicht! Schatten und Licht erst ergänzen einander zum Gesamtbilde
des Charakters. Keines, einzeln betrachtet, gibt ihn ganz.
Und für die sittliche Beurteilung vollends des Menschen entscheidet
sein Handeln. Die niedrigen Strebungen aber, in deren Dienst
sich die gaukelnden Bilder des Traumes so gern stellen, und die
doch tief hinabgedrängt sind aus dem Bereich aar Taten, sind gleich*
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