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534 Psychische Studien. XLV1. Jahrg. 10.-11. Heft. (Okt-NoT. 1919).
Diesem Bericht fügte Frau von E. noch den eines Erlebnisses
aus ihrer eigenen Familie an: Sie hatte eine liebe,
fromme, etwas leidende Tochter von 26 Jahren. Längere
Zeit schon ans Krankenlager gefesselt, war es deren sehnlicher
Wunsch, an einem Freitag, dem Todestag ihres Heilandes
, zu sterben. Am 17. Mai 1893 sagte sie morgens
zu ihrer Mutter: „Heute nacht war ein Engel bei mir; ich
lag wach und betete: Herr, komm und hilf mir, ruf mich
heim!" Der Engel sagte: Bald, bald, halt? aus!* Im vollen
Bewußtsein ohne Todeskampf statb nie vm 19. Mai 1893
und ihr letztes Wort war: „Nun zu Jesu!*
Ihr Todestag war wirklich ein Freitag, wie sie sich
dies immer so sehnlich gewünscht hatte. —
Zwei bemerkenswerte Formen von Spuk.
Berichtet von W. G.? Ingenieur.*)
1. Ein spukhafter Fährmannsrui
Meine Vaterstadt Tangermünde, die alte Hohenzollern-
residenz, liegt in der Altmark hoch über der Elbe am westlichen
Ufer. Die letzten Ausläufer des Harzes brechen hier
plötzlich vor den endlosen Wiesen der Elbniederung ab.
Da3 östliche Ufer ist darum öde und langweilig und war
damals ganz unbewohnt. Hinter den endlose n Weiden sind
erst in weiter Ferne die Türme der nächsten märkischen
Dörfer sichtbar.
Die nächste Elbbrücke liegt bei Hämerten, bei Tangermünde
wurde damals wie heute noch der Elb verkehr durch
eine Fähre aufrechterhalten. Um den Fährmann hüben
und drüben zu rufen, bediente mau sieh des ßufts: „Hol
ober!* (hol über). Meine Eltern bezogen 1866 ein Haus
unweit der Elbe, da erfuhren sie durch Xaehhorn gesprächsweise
, daß nun (im Sommer) bald wieder die Zeit de* Spöks
(Spuk) kommen werde. Man erzählte auf dio verwunderten
Fragen der Neuvermählten: „Immer wean ein Unglück der
Stadt drohe, sei es eine Feuersbrunst o*Jcr ein <>ewal'sanier
Tod, werden einige Zeit vorher abends vom jenseitigen, einsamen
Ufer dumpfe, aber weithin hörbare ll'ifc: „ilolöber*
vernommen, oft viele Abende hintereinander. War dann
das Unglück geschehen, so verstummte der Ruf für lange
Zeit. Dieser Spuk währte schon viele Jahre. Meine Eltern
hatten denn auch bald Gelegenheit, den Ruf selber zu hören.
An einem Sommerabend, nach 11 Uhr, als alles schon in
*) Name und Adresse stehen auf Wunsch zur Verfügung. Red.
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