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544 Psychische Studien. XL VI. Jahrg. 10.-ll.Heft (Okt.-Nov.19i9.)
Vorkommnis berichtet Julie Kniese in einer Studie über
Verklärung im „Zentralblatt für Okkultismus* (Sept. 1918;:
Wagner habe 1882 nach der letzten Parsifal- Autführung
seine Freunde und Getreuen noch einmal um sich versammelt,
um einige Abschiedsworte an sie zu richten. Während er,
auf einem Podium etwas erhöht stehend, zu den Anwesenden
sprach, sei plötzlich eine seltsame Veränderung mit ihm vorgegangen
. Sein Körper sei, obwohl die Gestalt als solche
blieb, wie sie war, hell und durchsichtig geworden, sodaß
die hinter ihm befindlichen Gegenstände ganz klar und
deutlich zu sehen waren. Diese Erscheinung habe nicht
nur Augenblicke gedauert, sondern angehalten, als Wagner
Abschied nehmend durch die Keihen der Anwesenden ging.
Von diesen habe nachher niemand mehr Wagner, der am
13. Febr. 1883 in Venedig starb, lebend gesehen. — Das
Vorkommnis ist von so außerordentlicher Art, daß man
seine Tatsächlichkeit füglich bezweifeln müßte, wenn der
Bericht nicht aus sehr guter Quelle käme. J. Kniese hat
die Sache von ihrem Vater, dem verstorbenen Musikdirektor
Prof. Julius Kniese erfahren, der einer Halluzination nicht anheimgefallen
sein konnte, weil er hinterher von verschiedenen
Herren mit den Worten angesprochen wurde: „Haben Sie
es auch gesehen? Was war das vorhin mit dem Meister?* —
Ein Grund zu einer Massenhalluzination ist aber hier kaum
denkbar. Um den Vorgang weiterhin bezeugt zu erhalten
schrieb ich an Hans von Wolzogen, der mir antwortete, daß
er merkwürdigerweise von der Sache früher nichts erfahren
habe, daß ihm aber von Frau Prof. Kniese, der Mutter der
Berichterstatterin, deren Mitteilung vollkommen bestätigt
worden sei. Ihr Mann habe ihnen beiden sofort nach dem
Erlebnis seine Beobachtung, wovon er „nicht gern sprechen
möchte*, in tiefer Erschütterung mitgeteilt; und zwar habe
es sich dabei nicht nur um die Durchsichtigkeit, sondern
vor allem um eine Levitation (Erhebung des Körpers über
den Boden) gehandelt. Zu den Beobachtern habe auch
Heinrich Perges gehört.
Über eine verwandte Erscheinung berichtet der Meister
selbst in „Mein Leben* (Volksausgabe, München 1914, II,
S. 131) gelegentlich einer Unterhaltung mit seinem Freunde
Köckei. Dieser hatte sich mit Wagner, der wegen des Mißerfolges
der ersten Tannhäuser-AufJuiirung vermutlich sehr
erregt war, vor der zweiten Aufführung dieses Werkes bei
einem Glase Bier zusammengefunden. „JSachdem er*, schreibt
Wagner, „lange meinen Kopf betrachtet, schwor er, ich sei
nicht umzubringen, ich habe etwas an mir, was in meinem
Blute liegen müsse. Um sich verständlich zu machen, nannte
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