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598 Psychische Studien. XLVL Jahrg. 12. Heft, (Dezember 1919.)
Seite XLT, auch später nachgewiesen, daß die Planetoiden
auch in der Keplersehen Weltenorgel mitklingen. Und
noch am Ende des vorigen Jahrhunderts, als die Romantik
längst zu Rüst gegangen war, wagte ein deutscher Naturforscher
den Tonsatz weiterzuführen. Der Kristallo-
graph Goldschmidt zeigte 1900 in seinem Buche
»Harmonie und Komplikation * das wunderbare Auftreten
der musikalisch-harmonischen Grundverhältnisse
an Kristallgestalten (wie übrigens
auch Kepler Harm. IV., 7 sagte), und umgekehrt sogar
die Möglichkeit der kristallographischen Gliederung
einiger musikalischer Grundformen.*
Immerhin also wird Keplers, durch weitschichtige Berechnungen
und Hunderte von Notenbeispielen gestüzte Spekulation
im Prinzip der Berechtigung nicht entbehren und
»Zukunftsmusik* im wissenschaftlichen Sinne enthalten,
wenn es auch für uns niemals möglich sein wird, die unübersehbaren
Fälle der Erscheinungen in jeder Einzelheit
richtig harmonisch zu gruppieren; denn dazu wissen wir
noc.» zu wenig von der kosmischen Welt, die sich uns heute
ja schon in einer, das Kepler'sehe Weltbild weit überragenden
unendlichen Größe und Vielfachheit darstellt, und
deren Werdegang uns noch heute in Vielem ein Rätsel
ist. Doch sehen wir, daß die einfachen Typen sich im
Kleinsten wie im Größten wiederholen, und nicht nur die
Planeten und Trabanten, sondern auch die Sonnen schwingen
in elliptischen Bahnen. aber nicht minder die Atome und
ihre Bahnbestandteile, die unausdenkbar feinen Elektronen,
die man neuerdings wiederum jedoch zerlegbar findet!
Diese Gleichung von Mikro- und Makrokosmos, die wir
soeben besprachen, und die die „Mystik* Keplers dem
exakten Gebiet angliedert, findet nach ihm aber noch in
anderer Weise statt. So wie die Planeten um die Sonne
schwingen und auf diese meteorologisch durch ihre Störungen
wirken/ woraus er seine Sphärenmusik ah Ausdruck
der vielen Rhythmen darin komponiert, läßt sich
ebensowohl auf die geozentrischen Wirkungen der Planetenstellungen
anwenden, und so entsteht die Wirkung ihrer
Aspekte in Bezug auf die Erde, die er demnach mit Recht
ebenfalls zu den Tönen in Beziehung setzt. Zwar sind das
alles schon antike Ideen wenigstens der Anregung nach,
und doch etwas Neues sowohl in Hinsicht auf das heliozentrische
System, wie der weitläufigen mathematisch musikalischen
Begründung Keplers nach. Diejenigen, die oft
meinten, mit dem heliozentrischen System sei die Astrologie
überwunden, irren gar sehr, denn im Gegenteil wird
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