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618 Psychische Studien. XL VI. Jahrg. 12. Heft. (Dezember 1919.)
unsere offizielle Wissenschaft eine so ungeheuere Schuld
auf sich geladen hat. Ei>t eine zukünftige Zeit wird vielleicht
den Dienst ganz windigen können, den Driesch durch sein
Eintreten für den Okkultismus der Sache der Wahrheit
geleistet hat.
Schon jetzt aber wird jeder sachlich Urteilende das
eine zugeben müssen, daß Diieseh in seinem tiefgründigen
Werk einen Schlag gegen den Materialismus geführt hat,
wie es iti neuerer Zeit kaum je durch ein sti eng wissenschaftliches
Werk geschehen sein wird. Und damit hat er
der Kultur einen Dienst geleistet, wie es vielleicht nur
wenigen unserer Zeitgenossen bis jetzt möglich var.
„Natur*4 und „Schöpfung" in der Sprache*
Von Dr. H. Wernekke (Weimar).
Unsre erste Betrachtung (Psych. Stud. Nov.-Heft 1917,
S. 492) galt den Benennungen der Welt, die in den verschiedenen
Spraciien sich ihrem Sinne nach mehr oder weniger
eng an das deutsche Wort anschließen, indem die Welt
erfaßt wird in ihrem Dasein - als ein wohlgeordnetes (kos-
mos, mundu«), lichtvolles (viläg, lume), einheitliches (Universum
), ewiges (aiön, oläm) Ganze (pän). Wenn sie nicht
in il rem Sein, sondern in ihrem Werden gedacht werden
soll, wird ihre Entstehung erfaßt als eine Erzeugung (gene-
ratio), eine Gründung und Erbauung (conditura, fabrieatio),
eine Wirkung (creatio). Aus der Würze! gen läßt sich eine
Form gna erschließen, die nach dem auch sonst vorkommenden
Wegfall des Anlauts die Inchoativform nascor und
davon die Ableitung natura ergibt, womit al*o zunächst
das Erzeugte, Geborene, Angeborene bezeichnet wird. Somit
ist Natur die angeborene Anlage, die Eigenart eines Wesens,
sein „Naturell*. Aber neben dieser passiven Bedeutung tritt
auch die aktive hervor Natur als Erzeugerin, zeugende
Kraft — nach der philosophischen Fassung natura naturalis
, neben und über jener natura naturata, worunter
die Sinnenwelt, auch im weitern Sinne die gesamte Welt begriffen
wird. Den gleichen Sinn hat das griechische Wort
<pvGtc. vm <f,veo: erzeugen, hervorbringen; woher das unmittelbar
von der Erde hervorgebrachte, (pvrov, vorzugsweise
die Pflanze bezeichnet (gegenüber dem Tier, dem Lebenden
£d>or). Alle romanischen Sprachen haben das Wort natura
übernommen. Auffällig ist es, daß mit dieser einfachen Wortform
sich das Spanische und Portugiesische nicht begnügen,
sondern mit Vorliebe naturaleza (Natürlichkeit) gebrau-
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