http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1920/0011
Iiiig: „Totensonntag\
7
gerade in vollem Gang, so doch in Vorbereitung zu sein. Und
merkwürdigerweise sind es heute gerade Naturwissenschaftler,
Astronomen, Physiker und Biologen, welche erkannt haben, daß
die bisherigen naturwissenschaftlichen Methoden nur auf einen gewissen
Kreis von Erscheinungen zutreffen, nicht aber auf das ganze
unbegrenzte Gebiet aller Lebensvorgänge, das sie in Jceiner Weise
zu erschöpfen vermögen. Wie sehr wird heute nur das Wesen der
Materie umstritten, das vor wenigen Jahrzehnten unseren Naturwissenschaftlern
noch selbstverständlich und klar erschien! In
einer naturwissenschaftlichen Betrachtung über „Das Absolute in
der Welt", die vor einiger Zeit in einem schweizerischen Blatt erschien
, heißt es: „Ist die Materie ein wirklich existierendes Etwas?
Nein, auch der Stoff ist eine Illusion. Ein Stück Kupfer ist nicht
an und für sich eine „kompakte Realität*4, sondern besteht aus
Atomen. Die Atome selber sind nicht etwa harmlose kleine Kügel-
chen, sondern wir müssen sie uns als Wirkungen von bewegten
Elektronen denken. Jedes Atom gleicht einem Sonnensystem; ein
mehr oder minder kompliziert gebauter Schwärm von elektrischen
Teilchen kreist um ein Zentrum. Hier steht heute die Forschung.
Die Elektronen sind das Wirkliche von heute,
aber auch an ihnen ist alles relati v." Was heißt
das anders, als daß die altüberlieferte, dem gewöhnlichen Sinnen-
schein angepaßte Auffassung vom Wesen der Materie von der
Wissenschaft verlassen und durch eine Theorie ersetzt ist, die nicht
mehr mit toten Stoffteilchen rechnet, sondern mit lebendigen Wirkungsweisen
, die sich gruppieren, begrenzen und durchkreuzen
nach vorerst nicht näher bekannten Gesetzen? In einem Aufsatz
über" „Die Brester'sche Sonnentheorie" führte Prof. Johs. Riem
(Berlin) zu Beginn des vorigen Monats in der „Frankfurter Zeitung
" aus>, daß kein Mensch wissen könne, was Materie unter unvorstellbaren
Verhältnissen von Druck und Temperatur sei, wie sie
auf der Sonne herrsche. Unsere Unwissenheit werde durch
nichts deutlicher bewiesen, als durch die Fülle der gänzlich unvermittelt
nebeneinander stehenden Sonnentheorien." Ist es angesichts
dieser offen zugestandenen Unwissenheit unserer Naturwissenschaft
in bezutg auf das-Wesen der Materie etwa eine Anmaßung oder
eine Abgeschmacktheit, wenn gewisse Forscherkreise die alte
Theorie der Gnostiker wieder hervorholen, welche den Ideen als
solchen nicht bloß ein selbständiges Leben zugestanden, sondern
sie geradezu als das Ursprüngliche, als die allein wahre Wirklichkeit
bezeichnen? Wenn der Münchener Psychiater v. Schrenck-Notzing,
der sich (wie neuerdings auch andere, namentlich ausländische
Gelehrte) offen zum Okkultismus bekennt, heute mit Nachdruck
eine Lehre vertritt, die er auf Grund der von ihm angestellten Versuche
„Ideoplastik" nennt, so ist das im Grunde nichts anderes als
ein Zurückgreifen auf die gnostische Lehre, wonach die Idee etwa«
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1920/0011