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42 Psychische Studien. XLVIL Jahrg. I. Heft. (Januar 1920.)
Die Eigenschaften, die er in konsequenter Verfolgung dieser
Anschauung dem Unbewußten zuschreiben muß, sind allerdings
so fabelhaft und widerspruchsvoll, daß der Leser sich bei ihrer
Beschreibung eines Gefühles des Mißbehagens nicht erwehreji
kann Daß das Unbewußte des Mediums im Unbewußten irgend
eines fernen fremden Menschen lesen oder gar Erinnerungsbruchstücke
aus dem Gedächtnisbestande eines Verstorbenen wieder
lebendig machen könnte, macht einen gleich unwahrscheinlichen
Eindruck wie die sinnlose Willkür, mit der sich das Unbewußte
gegenüber dem Bewußten des Menschen verhalten soll, wenn es
droht und schreckt, ohne vernünftig zu warnen, oder wenn es
fernliegendes durchdringt, eignes nicht versteht und sich sogar
feindselig zum bewußten Ich verhält. Wirklich ein allzu fremder
Gast wäre das Unbewußte, das wir als unser höheres Ich zu
betrachten gewohnt sind, wenn alle die Begebnisse, die Maeterlinck
besonders aus den Berichten der Londoner psychologischen Gesellschaft
zusammengestellt hat, nicht im Wirken der Geister Verstorbener
, sondern in ihm ihren Ursprung hätten.
Maeterlinck, der sich in diesem Gebiet nur auf englische und
französische Literatur, vielfach auf nicht ins Deutsche übertragene
Bücher und Aufsätze aus ausländischen Journalen stützt, bringt
viel interessantes Material, besonders zur Psychometrie, dem Vermögen
gewisser Personen, sich entweder selbständig oder durch
einen vermittelnden Gegenstand mit unbekannten und oft weitentfernten
Menschen und Dingen in Verbindung zu setzen, un-i
zur Kenntnis der Zukunft, wobei er alle Versuche zur Erklärung
der Prophezeiungen bespricht. Die Darstellung ist immer fesselnd,
und die Lektüre des Werkes kann denen, die in die okkulte Psychologie
erst eindringen wollen, so wohl empfohlen werden, wie denen,
die sich mit ihr bereits befaßt haben; denn auch sie werden noch
viel Neues in häufig origineller Betrachtungsweise finden.
Dem wissenschaftlich gebildeten Spiritisten sollte die Stel-,
lungnahme Maeterlincks eine neue Anregung sein, über die Bemühungen
um Identität der Geister mit Verstorbenen hinausgehend,
die jenseitigen Existenzbedingungen so zu erforschen, daß auch
ein Verkehr mit den höheren Geistern, die Belangreiches zu sagen
wissen, möglich wird. Vielleicht wird hier nur ein Zusammenschluß
ethisch hochstehender, solche Geister anziehender Menschen
, die sich selbstlos in den Dienst der Wahrheitserkenntnis
stellen und die okkulten Grundtatsachen kennen und zu berücksichtigen
wissen, zum Ziele führen. Was der Dichter in den Berichten
der englischen psychologischen Gesellschaft vergebens
suchte, könnte eine zu gründende deutsche Gesellschaft für spiritistische
Forschung, die bei Zusammensetzung von Arbeitsgruppen
auch das Moment der sittlichen Lauterkeit berücksichtigen müßte,
zu ermitteln versuchen.
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