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66 Psychische Studien. XLVIX. Jahrg. 2-3. Heft. (Februar-März 1920.)
Sterbegemach erhellte, himmlische Gesänge seien gehört
worden und ein starker Wohlgeruch habe sich nach dem
Verschwinden des Lichtes bemerklich gemacht, der bis zum
übernächsten Tag, dem Todestag der Romula, vorhielt. Die
Geschichte der christlichen Mystik weiß viele Beispiele von
solchen Lichterscheinungen, von überirdischer Musik und
himmlischem Wohlgeruch zu erzählen.4)
Von größtem Interesse für den okkulten Forscher ist
der dritte^experimentelle* Beweis, den Gregor für die ün-
Sterblichkeit der Seele geltend macht: die supernormalen
Fähigkeiten der Seele, die sie als etwas von
Gott Stammendes charakterisieren. Als solche Fähigkeit
kennt er das Hellsehen. Zwar könne durch göttliche
Offenbarung Zukünftiges vorausgeschaut werden, aber es
müsse die Seele auch aus sich selbst vermöge ihrer
Feinheit die Kraft haben, Zukünftiges vorher zu erkennen
(aliquando animarum vis subtilitate sua aliquid praevidet.
cap. 26); denn es komme solch zeitliches Hellsehen zuweilen
bei Leuten vor, deren Lebensführung durchaus nicht derart
war, dass sie besonderer göttlicher Gunstbezeugung gewürdigt
werden könnten. So starb z. B. in Rom ein habgieriger
Rechtsanwalt. Kurz vor seinem Tode verlangte
er vom Diener seine Kleider. Dieser meinte, sein Herr
deliriere: der aber bestand darauf, daß man ihm seine
Kleider bringe; denn er müsse zur Kirche des hl. Xystus
an der Via Appia. Man willfahrte seiner Bitte natürlich
nicht und bald darauf starb er. Die Angehörigen wollten
ihn bei der Kirche des hl. Januarius an der Via Praenes-
tina beisetzen lassen, aber den Leichenwärtern war die Entfernung
zu groß und so setzte man ihn bei der Kirche
San Xysto an der Via Appia bei, ohne Kenntnis jenes Vorgangs
mit dem Diener und der Aeußerung des Sterbenden.
Auffälliger und nach Gregors Meinung mehr an eine höhere
Offenbarung gemahnend war jenes Vorkommnis, das vor
zehn Jahren (also um 584, wo Gregor noch Abt des in
seinem elterlichen Hause zu Rom von ihm errichteten
Benediktinerklosters war, das heute seinen Namen San
Gregorio trägt), in Gregors eigenem Kloster das Staunen
aller erregte. Der schwer krank darnieder liegende Bruder
Gerontius erblickte in einer nächtlichen Vision zwei weißgekleidete
Männer} die wie aus der Höhe zum Kloster
herabstiegen. Als sie an sein Bett herangetreten waren,
4) Wer sich für die weiteren von Gregor gebrachten Fälle interessiert,
lese im 4, Buch der Dialoge Kap. 15—24 naeh (Migne, Patrologia, ser. lat.
Bd. 77 S. 344 ff.). Ueber die Erscheinungen selbst vgl. Görres, Mystik
Bd. 1 und Wilms, Das Beten der Mystikerinnen. Leipzig, Harassowitz 1916,
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