http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1920/0072
V
68 Psychische Studien. XLVII. Jahrg. 2.-3. Heft. (Febr.-März 1920.>
in einem benachbarten Hause auch ein Bulgare befand, so
rief man diesen herbei. Er sprach bulgari&ch mit dem.
Kranken und dieser antwortete zu aller Staunen so fließend,
als ob er geborner Bulgare gewesen wäre. Vor seinem
Tode bekam er noch einen heftigen Anfall, in dem er sich,
Hände und Arme zerfleischte; allein bald nach seinem Tode
starben wirklich alle jene, die er bezeichnet hatte. —
Der Papst geht dann (cap. 33) zur Beantwortung der
Frage seines Diakons über, ob sien im Jenseits die Guten
alle erkennen ? Er bejaht diese Frage mit der Begründung,,
daß die Vollendeten einigermaßen an der göttlichen All-
mssenheit teilnehmen (quia enim illic omnes communi clari-
täte Deum conspiciunt, quid est quod illi nesciant, ubi
scientem omnia sciunt?) Es komme auch vor, daß Sterbende
im Moment des Sterbens räumlich entfernte gleichzeitig,
Sterbende erkennen. So berichtete der ehrwürdige Eleutherius
von seinem Bruder, dem Mönch Johannes, daß-
dieser vierzehn Tage vor seinem Tode diesen seinem Mitbruder
vorhersagte und als derselbe nun wirklich zur angegebenen
Zett in den letzten Zügen lag, hörten die Umstehenden
ihn noch sagen: „Ursus, komm!* Als dann nach
vier Tagen einige Mönche dieses Klosters in ein anderes
weit entlegenes Kloster sich um einer bestimmten Angelegenheit
willen begaben, fanden sie die dortigen Brüder
in Trauer. Auf ihre Frage erfuhren sie, daß deren Mitbruder
Ursus gestorben war und zwar an jenem Tage und
zur selben Stunde, wo Johannes sterbend rief „Ursus
komm!* — Auch die Rückkehr einer sozusagen durch einen
Irrtum vorzeitig abberufenen Seele in ihren Körper, meint
Gregor sei möglich und verweist auf einen römischen Soldaten
, der wiedei zum Leben erwacht Himmel und Hölle
schildert. Es handelte sich da zweifellos um einen Fall
von Katalepsie. Die Jenseitsschilderungen des Soldaten
entsprechen den populären religiösen Vorstellungen und
sind so realistisch, daß Gregor selbst die Bilder für symbolischer
Natur erklärt (cap. 37). Diese Jenseitsvisionen
des christl. Soldaten haben übrigens mehr als ein Gegenstück
in der Geschichte. Das berühmteste ist unstreitig
die sog. Visio Wettini, die um 826 vom Abt Hatto von
Reichenau verfaßte Beschreibung der Visionen eines
Beichenauer Mönches Wettin, der drei Tage vor seinem
Tode von einem Engel durch Himmel, Hölle und Fegefeuer
geführt wurde. Sie machte auf die Zeitgenossen
mächtigen Eindruck und es ist wahrscheinlich, daß sie nicht
ohne Einfluß auf die Konzeption von Dante's divina commedia
geblieben ist. Zu leichtgläubig zeigt sich Gregor, wenn er
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1920/0072