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Ludwig: Gregor d. Gr. über sog. experiment. Beweise d. Fortlebens 71
Im Anschluß an diese Berichte von nächtlichen Visionen
gibt am Schlüsse Gregor noch eine für den okkulten
Forscher besonders interessante Traumtheorie. Dienatür-
liche Ueberleitung dazu muß die Frage des Petrus bilden,
ob man denn überhaupt auf Traumvisionen etwas geben
solle. Und Gregor belehrt ihn, es gebe sechs Arten von
Träumen. Entweder entstehen sie durch Ueberfüllung des
Magens oder durch zu große Leere desselben, oder durch
Halluzinationen oder durch geistige Aufregung, aber auch
durch Offenbarung oder durch eine Mischung von geistiger
Denkarbeit und Offenbarung. Die vier letzten Arten werden
durch Zitate aus der hl. Schrift belegt. In der Praxis sei
es aber nicht leicht, die einzelnen Arten von einander zu
unterscheiden, doch hätten die hl. Männer durch ein sicheres
inneres Urteil (quodam intimo sapore) Halluzinationen und
Revelationen zu scheiden verstanden. Es mag hier auffallen
, daß Gregor, der doch ein Hellsehen der Seele im
Wachzustand zugegeben hat, nicht auch hier ein solches annimmt
; denn die Offenbarungsträume faßte er dem ganzen
Zusammenhang nach (besonders nach den Schriftzitaten)
nicht als Offenbarungen der okkulten Kräfte der Seele,
sondern als Mitteilungen Gottes. Offenbar hat er sich hier
zu stark von Tertullian (de anima cap. 47) abhängig gemacht
; denn wie dieser läßt er wie die Halluzinationsträume7)
durch Dämonen, so die Offenbarungsträume nur von Gott
bewirkt werden. Der moderne Forscher wird ja überhaupt
so manchen Erklärungsversuch ablehnen, insbesondere nicht
gelten lassen, daß die sog. experimentellen Beweise für ein
Fortleben stringent seien, da sich viele Fälle, soweit sie
nicht als rein legendär ganz abzuweisen sind, auch anders
erklären lassen, z. B. durch Telepathie oder Halluzination
oder Autosuggestion. Aber das für uns Wertvolle ist, zu
. sehen, wie Gregor das Fortleben empirisch bewiesen, gegen
Zweifel materialistischer Provenienz sicher gestellt sehen
möchte. War er auch in Uebernahme fremder Berichte
bisweilen allzuleicht gläubig (z. B. Kap. 30 wo von der Versenkung
der Seele des Königs Theodorich in einen Vulkan
erzählt wird, ein Bericht, aus dem noch die Feindseligkeit
gegen den Gothen und Arianer und Papstmörder widerklingt
; oder was Kap. 53—55 von dem wunderbaren Verschwinden
der Leichen Exkommunizierter aus den Kirchen
fabuliert wird), immerhin darf man jenen Begebenheiten, die
7) Unter diesen Halluxinaüonsträumen (illusiones) versteht Gregor
sehr wahrscheinlich Träume erotischer Natur. Sicher ist dies der Fall bei
Tertullian (obszöne Träume). Daher werden als Verursacher die Dämonen
angenommen.
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