http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1920/0120
116 Psychische Studien. XLVII. Jahrg. 2.-8. Heft. (Febr.-März 1920.)
sondern nur mehr rein objektiv ihr gegenüber, und zwar in diesem
Bewußtseinsspiegel, in welchem natürlich nur die gegenwärtigen
Eindrücke und Bilder der Außenwelt sich abspiegeln
konnten, da in meinem Ichspiegel, wie bei einem anderen
Spiegel auch nur das abgespiegelt werden kann, was zufällig in
das Spiegelfeld fällt.
Z. B. das Bild der Stadt München, die Bilder von bekannten Personen
und von Gegenständen usw. zeigten sich nicht bzw. konnten
in Freising, dem jeweiligen Aufenthalsorle, sich nicht zeigen = vorstellen
in meinem Ichspiegel, da ich gegenwärtig in München eben
nicht war bzw. die Bekannten oder verwandten Personen und die bekannten
Gegenstände nicht vor mir waren, und wie gesagt, sah ich
bzw. konnte ich nur das sehen, was gegenwärtig im Ichspiegel sich
jeweils zeigte, an welchem ich hing wie ein Gefesselter, weil ich
eben in dem Schauen in mein Ich aufgelöst war.
Mein Bewußtsein war also ausschließlich nur mehr auf mein
eigenes sich bewußtes Bewußtsein = Selbstbewußtsein beengt und
beschränkt, in welchem ich die gegenwärtigen Eindrücke der
Außenwelt mittelbar in meinem geistig geschauten Selbst-Bewußtsein
, dem Bewußtseinsspiegel, aufnahm und in welchem ich mein
wirkliches, reines Ich unbewußt fortwährend suchte.
Alle meine geistigen Eigenschaften und Gefühle spiegelten
sich klar und deutlich in diesem Bewußtseinsspiegel ab und ich
konnte sie bis aufs Tiefste verfolgen, bis sie in einem Nichts, in
einem dunklen geistigen Punkt, verschwanden. Ein unerklärliches
gewisses Etwas war dieser geistige Punkt, den ich nicht zu erkennen
vermochte und auch nicht feststellen konnte, wo dieser
geistige Punkt seinen Sitz hatte, sei es im Herzen oder im Gehirn
oder sonst in einem anderen Körperteile und der fortwährend mir
vor meinem Geiste schwebte in diesem Ichspiegel bzw. Bewußtseins-
spiegel. Diesen geistigen Punkt schaute ich damals für die
suchende Seele an bzw. den Ausgangspunkt derselben.
Was war nun der mir unfaßbar gewesene geistige Punkt?
Jetzt, nach 12 Jahren, weiß ich es nun» nämlich mein eigenes
reines Ich in dem geschauten „Selbstbewußtsein*'. Es hat sich
also der bewußtseinserzeugende Ichfunke, der ich selbst bin, in
seinem erzeugten und geschauten Bewußtsein reflektiert. Es war
nun meine Aufgabe, den Sitz dieses Ichfunkens zu finden und ihn
als mein eigenes Selbst zu erkennen.
Sehr oft dachte ich während meines Selbstbetrachtungs-
zustandes über das Wesen des Denkens nach, ferner woher das
Denken entspringt, denn ich wußte nicht, daß mein Denken zum
Wesen meines sich suchenden Ichs gehört bzw. dasselbe durch
mein Ich erzeugt wird. Wenn ich nun nach der Herkunft des
Denkens forschte, so verlor sich dieses Forschen jedesmal in das
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1920/0120