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124 Psychische Studien. XLVII. Jahrg. 2.-3. Heft (Febr.-März 1020.)
Hause gekommen und hatte sich noch irgend etwas zu essen
erbeten. Da aber nichts Geeignetes zur Verfügung stand
und es schon spät in der Nacht war, sagte sie: „Gebt mir
ein Gläschen Malaga, dann esse ich noch einige Cakes dazu
, das tut es auch/ Man brachte ihr beides und sie nahm
es mit ins Schlafzimmer, wo sich dann alles genau so abspielte
, wie es ihr sterbender Bruder gesehen hatte.
Die Tatsache steht einwandfrei fest, und es erhebt sich
nur noch die Frage, wie man sie deuten soll. Es kann sich
dabei um Hellsehen, es kann sich aber auch um Gedankenübertragung
gehandelt haben. Aber was ist Hellsehen in
solchen Fällen und was ist Gedankenübertragung? Zweifellos
hat sich K>. nach dem Abschied von seine" Schwester
noch mit dieser beschäftigt, als schon die traumhafte Um-
dämmerung seines erlöschenden Bewußtseins begonnen hatte.
Der unterbewußte Teil seiner Psyche war ihr nachgeeilt oder
war wenigstens auf sie eingestellt und so ergab sich der
Rapport oder das hellsichtige Schauen zwanglos ganz von
selber. Auf Befragen erklärten mir die Schwestern des Verstorbenen
, daß dieser in gesunden Tagen niemals über- oder
außernormale psychische Veranlagungen gezeigt habe. Erst
tinen bis zwei Tage vor dem Tode seien solche merkwürdige
Erscheinungen aufgetreten. So habe er am Tage vor seinem
Tode einmal plötzlich gesagt: „Lasset den K, doch herein,
er kann schon hereinkommen/ Da die Schwester A., die
bei ihm im Zimmer war, nichts sah oder höite, sagte sie:
rEs ist ja gar niemand draußen." Weil aber der Bruder
darauf bestand, daß der K. draußen sei und herein wolle?
öffnete sie die Tür. Es war aber wirklich niemand draußen
. Am andern Tag stellte es sich jedoch heraus, daß K.,
ein im Krankenhaus untergebrachter Kriegsinvalid, einige
Augenblicke zuvor vor der Tür gestanden war und die Absicht
hatte, den Kranken zu besuchen. Eiuige Kameraden
und eine Krankenschwester brachten ihn aber von seinem
Vorhaben ab, indem sie ihm zu verstehen gaben, daß man
Schwerkranken nicht durch Besuche lästig fallen dürfe.
Zwei Tage vor dem Tode des R. zeigte%sioh noch eine ganz
besondere Erscheinung in dessen Krankenzimmer, die aber
mit Hellsehen oder Gedankenübertragung nichts mehr zu
tun hat, sondern ins Gebiet der magischen Symbolik und der
Todesbotschaften gehört. Es war nachts halb ein Uhr. Der
Kranke saß auf einem Sessel außerhalb des Bettes, nicht
weit davon seine Schwester. Das Zimmer war durch eine
Lampe beleuchtet, die neben dem Kranken stand. Plötzlich
kam etwas wie durchs verschlossene Fenster geflogen. Es
war ein gewaltiger Falter mit einer Flügelspannweite von
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