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Ludwig: Augustiii über das Ahntingsvermögen der Seele 181
Warnungen darauf, jenen Weg zur Erkenntnis zu betreten.
Während Zanoni mit der befreiten und für immer gewonnenen
Viola sein Schiff besteigt, das ihn einem fremden
Erdteil zutragen soll, wird der junge Engländer der Schüler
Meynours und betritt das dunkle Tor, das ihm den Weg
zu den höchsten Höhen der menschlichen Erkenntnis eröffnen
soll (3. Buch). (Schluß folgt.)
Augustin über das Ahnungsvermögen der
Seele una seine Visionenhypothese.
Von Prof. Dr. Ludwig, Freising (Dr. Clericus).
Bei seiner exegetischen Arbeit über den Schöpfungsbericht
des Moses (de Genesi ad litteram libri 12)1), die ein Torso blieb
und nur bis zur Erzählung von der Vertreibung aus dem Paradiese
reicht, läßt sich Augustin gern in Erörterungen ein, die nicht streng
zum Thema <fer Arbeit «ehören, die aber zeigen, wie sein forschender
Geist nichts unversucht lassen konnte, was auch nur entfernt
als wissenschaftliches Problem ihm während seines geistigen Schaffens
aufstößt. So erinnert ihn der Ausdruck „Paradies" an den
Bericht des Apostels Paulus (2. Corinther 12, 2—4) über seine
visionäre Entrückung ins Paradies, was ihm sofort Anlaß gibt, über
die Art der Visionen sich zu verbreiten und dabei auch die Frage zu
erörtern, ob die menschliche Seele eine vis divinationis besitze
(Kap. 13). Allein er kommt, wie nicht selten in dieser exegetischen
Schrift, zu keiner sicheren Lösung der schwierigen Frage
und es gilt auch hier, was er in seinen Retraktationen (Buch 2,
Kap. 24)2) von dieser Arbeit im allgemeinen sagt, er habe manche
Probleme mehr angeschnitten a's gelöst (in quo opere plura
quäsita quam inventa sunt et eorum, quae inventa sunt, pauciora
firmata). Jedenfalls hat er die Möglichkeit hellseherischer Fähigkeiten
zugegeben und begegnet sich da mit Gregor dem Großen.3)
Es gäbe einige, sagt er, die der Seele eine divinatorische Kraft zuschrieben
. Aber wenn dies so ist, warum kann sich diese Fähigkeit
nicht immer und nach Begeben äußern? Braucht sie von
irgend woher eine Unterstützung? Ist das Hemmnis etwa körperlicher
Art, so daß sie die vorbedeutenden Sinnbilder zwar in sich
trägt, aber nur unter gewissen Umständen schauen kann, so wie es
ja auch ein latentes Gedächtnis gibt? Oder taucht die Seele in
einen anderen Geist und erschaut dort manches? Und wenn sie
solche Sinnbilder und Vorzeichen schaut, weshalb weiß sie selbe
nicht immer zu deuten? Oder braucht sie auch hierzu der Unter-
*) Migne, Patrologia, ser. lat. Bd. 34 S. 464 ff.
2) Ebenda Bd. 32 S. 640.
**) Vergl. m. Artikel in dieser Zeitschrift: „Gregor der Große über
sog. experimentelle Beweise des Fortlebens".
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