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182 Psychische Studien. XLVII. Jahrg. 4. Heft. (April 1920)
Stützung? Die Antwort darauf ist schwer. Sicher ist nur, daß
nicht alle Visionen, die im Wachen oder Schlafen geschaut werden,
bedeutsamer Art sind. Es kann solch zeitliches oder räumliches
Hellsehen auch bei Besessenen vorkommen. Da erklärt es sich
dann als Mitteilung des Dämons an den Geist des Besessenen; aber
ebenso kann in der Ekstase auch ein Engel Gottes der Seele höhere
Mitteilungen machen und ihren Gesichtskreis erweitern. Ob das
eine oder andere der Fall ist, läßt sich im einzelnen Fall schwer
sagen, weil auch der Dämon sich zuweilen in einen Engel des Lichts
kleiden kann (2. Cor. 11, 14).
Augustin tritt aber (Kap. 18 u. 19) — und dies ist wieder ein
Beispiel dafür, wie sein Geist in alle Geheimnisse der Natur- und
Geisteswelt einzudringen suchte — der Frage näher, wie V i -
s i o n e n entstehen. Auch da will er —'wie er von vornherein bemerkt
— sich nicht anmaßen, eine bestimmte Entscheidung zu
geben, sondern nur seine ganz persönliche Meinung äußern, die
dahin geht, daß er die Visionen reit den Träumen in Vergleich
stellt. Wie im Traum Nichtiges, aber zuweilen auch Wahres geschaut
wird und wie dieses Wahre teils in dunklen Bildern, teils
aber auch wie mit klaren Worten zu uns redet, so auch bei den
Visionen. Nur daß die Menschen das Ungewöhnliche, nämlich
die Visionen, mehr zu beachten pflegen, als das Gewöhnliche,
gerade wie man auch bei einem ungewohnten Wort gern nach der
Bedeutung desselben fragt, während man sich über die Herkunft
der gebräuchlichen Worte nicht den Kopf zerbricht. Er für seine
Person bewundere mehr die außerordentlich lebhafte Vorstellungskraft
der Phantasie, als die Visionen der Träumenden und Eksta-
tiker. Was immer nun auch die Natur jener Visionen sein möge,
jedenfalls sind sie nichts Körperliches. Aber sie können sowohl
durch körperliche, als auch durch rein seelische Ursachen entstehen
, Ersteres ist oft der Fall beim Träumenden, aber auch
bei Erkrankten. Bei letzteren kann es vorkommen, daß sich die
Seele eine Zeit lang aus dem Körper entfernt zu haben scheint und
die Wiedererwachten wissen dann allerlei von gehabten Visionen
zu erzählen. Es kann aber die Ursache der Ekstase eine rein
geistige sein, wenn der Körper vollkommen gesund ist. In diesem
ekstatischen Zustand kann dann die Seele sowohl von einem Dämon
ergriffen werden, der sie mit falschen, irreführenden Vorstellungen
erfüllt, wie dies bei Besessenen und falschen Propheten der
Fall ist, oder aber sie kann unter die Herrschaft eines guten Geistes
kommen, so daß eche Prophetie und höhere Sehergabe eintreten.
Hier finde ich sehr beachtenswert für den Theologen, daß Augustin
zweifellos (wie nach ihm auch Papst Benedikt XIV. in seinem bedeutenden
Werk „De sanetorum beatificatione") eine natür*
liehe Ekstase kennt, wenigstens in ihrer ersten Entstehungsursache
und nicht etwa die Ekstase innerhalb des Christentums als eo
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