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Freudenberg: Zur Symbolik der schwarzen Madonnen, 335
wirkliehe, göttliche, himmlische Licht dagegen sei hell, aber dem
Auge des sterblichen Menschen verschlossen und erscheine ihm
als Finsternis. Ja, es müsse ihm sogar als Finsternis erscheinen
— und hier tritt ein neuer Gedanke hinzu —, da das sterbliche
Auge den Glanz des Lichtes nicht ertragen könne. Ich erinnere
hier nur an die Erscheinung Christi vor Damaskus, die den Saulus
zum Paulus umwandelte, ihn aber blendete, bis er durch Handauflegung
und Gebet von Ananias wieder sehend gemacht wurde.
Auf den innigen Zusammenhang aber, der zwischen der christlichen
Mystik und der christlichen Kunst besteht, brauchen wir
hier nicht besonders hinzuweisen, da er in der Natur der Sache
liegt und die ganze Kunstgeschichte ihh erweist Der oben angeführte
weitere Gedanke, welcher der bildenden Kunst ein ferneres
Motiv geliefert hat, göttliche Personen als dunkel, gewissermaßen
durch einen die Blicke des Beschauers vor Blendung schützenden
Vorhang verhüllt, darzustellen, findet auch im alten Testament in
etwa schon eine Parallele in der Vorschrift der hebräischen
Priester, ihre Gewänder mit Glocken und Granatäpfeln zu besetzen
. So heißt es im Exodus XXVIII, 34/35: „daß eine goldene
Schelle sei, danach ein Granatapfel und abermals eine goldene
Schelle und wieder ein Granatapfel um und um am Saume desselben
seidenen Rockes. Und Aaron soll ihn anhaben, wenn er
dienet, daß man ihren Klang höre, wenn er aus und eingehet in das
Heilige vor dem Herrn, auf daß er nicht sterbe. Jehova,
der im Allerheiligsten wohnend („brütend") vorgestellt wurde,
soll also Zeit gelassen werden, sich zu verhüllen oder zu entfernen
, damit sein Anblick nicht tötend auf den Hohenpriester
wirke. Auch die häufigen Angaben über Vorhänge und Teppiche
in der Stiftshütte und im Tempel sind in gleichem Sinne als
Schutzmittel des irdischen Auges gegen das göttliche Licht zu
deuten. Bis auf den heutigen Tag ist es keinem Japaner erlaubt,
den Mikado, der ja theoretisch ein Sohn der Sonnengöttin ist, bei
seinen Ausfahrten anzublicken, falls er nicht riskieren will, zum
Buddha zu werden d. h. zu sterben. Und welcher katholische
Christ wird nicht, wenn der Priester bei der heiligen Messe oder
beim Segen die unverhüllte Monstranz vorstreckt, demütig den
Blick zur Erde richten ? %
Nun, da haben wir ja zwei vollgültige Ideengänge, die den christlichen
Künstler veranlassen konnten, die Madonna mit dem gött-
liehen Kinde dunkel darzustellen, die tiefsinnige Spekulation, daß
das wahre, das göttliche Licht für das menschliche Auge Finsternis
sei, und der fernere Gedanke, daß unser Auge den Anblick der
Gottheit nicht ertragen könne und diese daher nur verhüllt oder
verdunkelt für den Menschen zur Erscheinung gebracht werden
könne. Wahrlich, diese beiden Vorstellungen in ihrer Natürlichkeit
und Folgerichtigkeit dürfen bei unvoreingenommener Prüfung
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