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CJericus: Ein Spuk und seine Folgen.
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Ein Spuk und seine Folgen.
Von Dr. Clericus.
In dem friedlichen Städtchen Fr. herrschte drei Monate hindurch
große Aufregung; denn es sollte in einem etwa 4 Stunden
entfernten Dorfe spuken. Ich wandte mich an den Ortspfarrer,
der mir am 29. Oktober 19 schrieb, er selbst habe noch keine Gelegenheit
gehabt, den Spuk zu beobachten, aber die betreffende
Bauernfamilie, bei der er sich zeigen solle, gehöre zu den ange-
sehensten im Orte, sei durchaus achtbar und religiös und an einen
Betrug von Seiten der Leute selbst sei nicht zu denken. Die Sache
dauere schon mehrere Jahre, die Familie sei der Meinung, daß
einer ihrer im Kriege gefallenen Knechte keine Ruhe finde und
habe wiederholt hl. Messen für ihn bestellt. Es würden nachts
häufig schwere Tritte über die Stiege gehört, als ob jemand einen
Getreidesack trüge, um ihn oben auszuleeren. Das Geräusch
sei auch von mehreren nicht zur Familie gehörigen Zeugen
vernommen worden. In einem zweiten Schreiben des Pfarrers
vom 27. November 1919 wurde die erste Mitteilung dahin ergänzt,
daß die Familie vor dem Kriege nacheinander vier ziemlich
leichtfertige Knechte hatte, die alle im Kriege fielen. Man höre
schwere Tritte wie von beschäftigten Knechten, Säcke tragen,
Getreide ausleeren, Pferdegeschirr herumwerfen, Nägel einschla-
gen usw. Der Geistliche teilte mir auch mit, daß einer meiner
früheren Schüler, Kaplan E. aus dem Spukort sei und in jenem
Haus eine Nacht zugebracht habe. Natürlich wandte ich mich sofort
an Kaplan E., der mir unter dem 12. November unter anderem
folgendes schrieb: Die Nachbarin, eine brave, religiöse Frau,
sagte, es sei ein Geräusch, wie wenn man eine Schürze voll Schusser
ausschütte, gut geschlossene Türen öffnen sich und schließen
sich wieder. Wenn der Spuk verschwinde, gebe es ein großes
Gepolter, und die Kinder getrauen sich fast nicht mehr, in jener
Knechtkammer zu übernachten. Der Kaplan betete auf Ersuchen
der Familie in jenem Zimmer das Totenoffizium des Breviers,
worauf die Leute drei Wochen Ruhe hatten. Als er im September
1919 auf Urlaub nach Hause kam, faßte er den Entschluß, eine
Nacht in diesem Zimmer zu bleiben. Abends 9 Uhr begab er sich
mit starkem Zweifel, ob es überhaupt ein sog. MGeistern" gebe,
in jene Kammer. Mit der brennenden Kerze durchsuchte er sie
nach allen Ecken und Enden und ging dann um % 10 Uhr zu Bett.
Gegen 10 Uhr hörte er Tritte über die Stiege kommen, langsam,
wie w^enn einer einen schweren Sack trägt. Obwohl er an der
Türt-, wie er versichert, den schweren eisernen Riegel vorgeschoben
hatte und das Licht auf dem Tisch weiter brannte, öffnete
sich die Tür. Eine Gestalt wurde nicht gesehen, aber in der
Mitte des Zimmers schien ein Sack entleert zu wrerden, ein Äch-
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