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Walter: Der Dolch.
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Drei Wochen später war es, da trat ich mit einem Pack Briefen
in der Hand in mein Arbeitszimmer. Der Sommertag war heiß
gewesen, und ich hatte, als ich müde heimwärts wanderte, dem
begegnenden Postboten die Briefe abgenommen. — Schon saß ich
und überflog die Anschriften, als mein Blick auf eine Feldpostkarte
fiel, da ergriff mich jene halb bange, halb freudige Erregung
, die von uns Besitz nimmt, wenn wir uns freuen, von einem
Lieben aus dem Gebiete der Gefahr Nachricht zu erhalten, während
wir zugleich um die Art dieser Nachricht bange sind.
— „Geehrter Herr!" las ich — klirr — klirr — fiel in diesem
Augenblick etwas zu Boden. Ich fuhr auf — mein Dolch lag, halb
aus der Scheide geglitten, auf der Erde und durch die Saiten der
verstimmten Laute klang's leise und mißtönend —
„Geehrter Herr! Mit tiefem Bedauern sehe ich mich vor die
Aufgabe gestellt, Ihnen mitzuteilen, daß Ihr Freund, mein lieber
R. in den Kämpfen am Piavefluß am 22. d. M. den Tod erlitt Er
fiel im Nahkampfe dicht neben mir und verschied nach wenigen
Augenblicken. Vor dem Sturm bat er mich, wenn ihm etwas zustoßen
sollte, zuerst Sie zu verständigen, damit Sie seine Mutter
benachrichtigen. Empfangen Sie von mir und allen Kameraden
den Ausdruck unserer herzlichsten Anteilnahme. Hochachtend
bin ich Ihr Soll, Ltn."
So--. Mir ging es wüst im Kopfe herum. Am 22.---
Das war vor genau drei Wochen. — Mein Dolch liegt wie und
wo er gefallen, niemand darf ihn aufheben — er könnte sonst
nochmals lebendig werden und ich empfinde ein stilles Grausen
vor dem Ding. So oft ich Feldpost erhalte, sehe ich das Mordwerkzeug
an; es hat sich nicht gerührt seit jener Unglücksbotschaft
.
An der Laute aber sind einige Saiten gesprungen und manches
Mal, wenn durch das offene Fenster ein Windhauch streicht,
klingt es so mißtönend wie damals. Ich mag sie nicht mehr stimmen
. --— Heinrich Notz."
Dieser Bericht ist in seinem Stimmungsgehalt und seiner
mustergültigen Schönheit wert, der Tatsachensammlung der Geheimwissenschaften
einverleibt zu werden. Gemeinsam mit
Freund Haslinger habe ich es unternommen, genaue Erkundigungen
einzuziehen, um eine gewissenhafte Beurteilung ?u ermöglichen
. Wir wandten uns zu diesem Zwecke an einen Kollegen,
der den Verfasser zum Schüler hatte. Seiner freundlichen Mitwirkung
verdanken wir das folgende Schreiben des Herrn Notz,
das hinsichtlich seiner Wahrhaftigkeit wohl für sich selbst spricht.
„Mödling, 3. Nov. 1919.
S. g. H. Prof.! Ihr liebenswürdiges Schreiben hat mich gestern
erreicht. Bezüglich der Anfrage Ihrer beiden Herren Kollegen erkläre
ich, daß ich gerne meine Einwilligung gebe zur Verwendung
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