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Kurze Notizen
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Jahrzehnten einen sehr geachteten Namen hat, ein seinen Fähigkeiten
und Leistungen entsprechender Wirkungskreis eröffnet
würde. T. Chr.
b) Über eine interessante Vision wird uns von geschätzter Seite
geschrieben:*) Am 10. Dez. 1919 kehrte ich, von der Bahnpost
Lugano kommend, mit der „Funicolare" nach der Stadt Lugano
zurück. Ich glaube, es war zirka 4 Uhr nachmittags. Im gut
besetzten Bahnwagen stand ich dem Ausgang des Wagens zunächst
und sah zufällig nach der in wenigen Sekunden zu erreichenden
Haltestelle hin, die in diesem Momente noch zirka
200 Meter entfernt sein mochte. Dort sah ich zwei Personen
stehen. Einen Mann mit großem, weißlichen Bart und eine Frau
an seiner Linken, schwarz gekleidet. Wenige Sekunden später
erkannte ich den Mann als einen Herrn aus Bern (Reisekollege
Zürich—Algier März 1914). Und nahezu an der Endstation eingetroffen
, erkannte ich, trotz des dichten schwarzen Schleiers,
auch die Frau: Herr und Frau K. aus B. Der Bahnwagen
war im Begriff anzuhalten und ich gedachte die beiden Bekannten
zu begrüßen, die zu schauen, aber niemanden anzuschauen
schienen. Sie schienen ins Leere zu sehen. In diesem Augenblicke
hält der Wagen an und gleichzeitig befällt mich aber der
Zweifel, ob K. der richtige Name des Herrn sei. Um Zeit zu
gewinnen zur Überlegung, blicKte ich, wie zufällig auf dem Boden
etwas Auffälliges bemerkt zu haben, nach dem Boden, zwischen
dem Wagenausgang und der Stelle, wo die beiden standen; ihr
Abstand vom Wagen mochte höchstens 4 bis 5 Meter betragen
haben — um nach einer halben Sekunde Überlegungszeit meinen
Blick wieder aufwärts, nach den Köpfen der Erkannten zu richten.
Eine Überraschung benimmt mir jede Bewegung! Die beiden
Menschen stehen nicht mehr da! Auf dem Aussteigeplatz ist nie-
mand zu sehen! Das nach dem Wagenausgang sich drängende
Passagierpublikum drückt mich zur Seite und bringt mich dadurch
wieder zur Besinnung und betrachtet mich, wie mir schien, wie
mitleidig, weil, wie ich annahm, wohl niemand begreifen konnte,
wie ich auf dem menschenleeren Platz, auf dem Boden und in
der Luft, nach etwas suchen konnte. Einzelne kehrten sich nach
mir um, bevor sie mich aus den Augen verlieren mußten, mich,
wie mit Bedauern von oben bis unten kontrollierend. Der Vorgang
beunruhigte und beschäftigte mich minutenlang derart, daß
ich mich nicht erinnern konnte, wie und auf welchem Wege ich
*) Die freundliche Einsenderin, Frau Dr. E. Schmid-Zürich
(Freiestr. 168) schreibt uns hierzu (dat. 17. IL 20): „Durch Ihre Zeitschrift
habe ich soviele interessante, glückliche Stunden erlebt, daß ich
froh bin, Ihnen und allen Ihren Mitarbeitern durch einen kleinen Beitrag
danken zu können, der dem hiesigen „Tagesanzeiger" vom 8. Febr.
1920 entlehnt ist"
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