http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1920/0414
400 Psychische Studien. XLVII. Jahrg. 8. Heft. (August 1920.)
Das antike Mysterienwesen.
Von Dr. med. R. Tischner.
Das antike Mysterienwesen hat vielfach das größte Interesse
der Religionsforscher, der Ethnologen und auch der Okkultisten
gefunden; können wir doch hoffen, in ihm das letzte Wort der
autiken Religion gesagt zu finden. Leider sind wir nur sehr unvollständig
aus Quellen darüber unterrichtet da, wie es leicht verständlich
ist, das siegende Christentum danach trachtete die Urkunden
der Gegner zu vernichten. Vielfach hat man nun gefragt,
was denn eigentlich der Inhalt der Mysterien gewesen sei, und
diese Frage ist dann oft nach dem jeweiligen Standpunkt des
Autors einer einseitigen und voreiligen Lösung entgegengeführt
worden. So geht es gewiß nicht an, wie man auch zu unserer Zeit
noch versucht hat, darin nur eitlen Mummenschanz zu sehen,
denn es ist nicht einzusehen, wieso dann die Mysterien vermocht
hätten, geistig hochstehende Kreise der absterbenden Antike zu
fesseln und, wie es einmal über sie tieißt, Ursache gäben ,,nicht nur
mit Freuden zu leben, sondern auch mit besserer Hoffnung zu
sterben*'. Zumal gilt das von den eleusinischen Mysterien und
dem Isiskult. Leizterer hielt sich am längsten, das letzte Heiligtum
wurde erst im Jahre 560 auf Befehl des Kaisers Justinian geschlossen
. Der Isiskult war ein gefährlicher Mitbewerber für das
Christentum und hat zweifellos in mancher Hinsicht Aehnlich-
keiten mit ihm, die nicht auf Zufall beruhen können, sondern auf
Beeinflussung des Christentums durch den Isiskult hinweisen.
In dem kürzlich in zweiter stark umgearbeiteter Auflage erschienenen
Buche „Das antike Mysterienwesen" von Dr. K. H. E.
De Jong, Verl. Brill, Leiden, Holland, wird nun die Frage nach
dem Wesen der Mysterien zu beantworten gesucht. Jong geht an
das Thema nicht mit einseitiger philologischer, theologischer oder
philosophischer Orientierung heran und er zieht auch den Okkultismus
in ausgedehntem Maße und mit einer gewissen Vorliebe
heran. Bekanntlich haben sich auch bekannte okkultistische und
theosophische Schriftsteller mit dem Thema beschäftigt, und Jong
widmet ihnen auch einige Seiten. Für Du Prel findet er recht
lobende Worte, während Schüre und besonders Rudolf Steiner
sehr scharf abgetan werden, zumal für letzteren findet Jong sehr
harte Worte und nennt ihn ,,einen Schwindler wie keiner", Worte,
die um so mehr auffallen, da Jong sich sonst immer recht maßvoll
ausdrückt.*). Das Christentum als mystische Tatsache sei jeder
Wissenschaflichkeit bar.
Bekanntlich hat Du Prel — besonders auf eine Stelle in des
Apule jus,Metamorphosen' sich stützend—versucht den Nachweis zu
*) Bekanntlich teilen mit Hofrat Prof. Seiling viele unserer namhaftesten
Mitarbeiter obige Ansicht. — Schrifti.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1920/0414