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404 Psychische Studien. XLVIL Jahrg. 8. Heft. (August 1920.)
einmal gegebenen Gesetzen der Bewegung des Stoffes, des Alls,
und vor allem dem suchenden Bewußtsein der Menschen und
Geister restlos überläßt, den rechten Weg des Lebens durch Raum
und Zeit hindurch zu suchen und zu wandeln. Darnach wäre Welt-,
Raum- und Zeitgefühl nur eine unterbewußte, doch wahrscheinlich
nach Belieben ins Bewußtsein einzulassende Lebensäußerung oder
Betätigung der an sich räum- und zeitüberlegenen Geistigkeit
Gottes.
Viele stoßen sich daran und leugnen das Dasein Gottes als einer
bewußten oder überbewußen Seeleneinheit, weil sie vermeinen,
eine solche sei durch grobstoffliche Körper- und insbesondere Ge-
hirnorganisation bedingt. Sie schlußfolgern: Es gibt kein mate-
rielles Weltgehirn, dem unsern entsprechend, und also auch keine
göttliche Geistigkeit und Persönlichkeit. — Aber wie kurzsichtig
und klein ist doch solch billige Tagesweisheit, wie stellt sie sich
dar als eine ärmliche Ausgeburt und ein Fehlschluß materia-
listischer Überheblichkeit. Wie wenig wissen im Grunde jene
Weisen vom wahrhaften Sein und den Fähigkeiten des Geistes.
Denn zweifellos vermag er zu leben als „seelisch bewußte Krafteinheit
", wie ich sein Wesen umschreiben möchte, unabhängig vom
Körper, oder wie Hyslop die Eigenart des reinen, durch keine
grobe Körperlichkeit gebundenen Geistes bezeichnet „Eine Form
von Energie, die Bewußtsein hat"; oder wie Aksakoff sagt: „Eine
Wesenheit, die fühlt, denkt, will" („Näheres über die Frage der
Unsterblichkeit bei Seiling „Die Kardinalfrage der Menschheit", bei
Vogl „Unsterblichkeit, Vom geheimen Leben der Seele und der
Überwindung des Todes, bei Aksakoff „Animismus und Spiritismus
".) In solchem Sinne ist Gott der unfaßbar-große, heilige Ur-
und Vatergeist, der — sei es bewußt oder überbewußt in den oben
näher dargelegten Sinnmöglichkeiten — Bewegung, Raum und Zeit
sind in sie eingebettet, durch sie emporstrebend—Seele und Geist
aus sich strahlt und gebiert, so daß wir Menschen nicht weniger
wie Gott selber Geistwesen sind, d. i. ebenfalls „seelische Krafteinheiten
", wenn auch als winzige Splitter und Teilchen des Allgeistes
gebunden Zeit unseres Erdenlebens an unsere Körperlichkeit
, d. i. eben an die Bewegung in Form des groben Stoffes —
eine Körperlichkeit, die als Entgelt es uns indes ermöglicht, auf
dieser Erde zu wirken, zu schaffen, uns zu entfalten; die aber alsdann
im Tode von uns abfallen wird, um den inneren unzerstörbaren
Wesenskern, den Geist, als die uns eingeborene Kraft- und
Bewußtseinseinheit freizugeben zu neuer höherer und reinerer
Entwicklung. Dann wird der Lebenssinn sich uns tiefer offenbaren
und werden wir reiner, als es uns jetzt meist möglich, erkennen
, wie wir keine heiligere Aufgabe haben und kein höheres
Ziel, als durch Läuterung, Veredlung und Vergeistigung unseres
Wesens und Wollens immer größer und liebewärmer uns zu ent-
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